BGH Urteil v. - XI ZR 226/21

Leistungsverweigerungsrecht bis zum Rückerhalt des finanzierten Fahrzeugs

Gesetze: § 355 Abs 3 S 1 BGB, § 357 Abs 4 S 1 BGB, § 357 Abs 4 S 2 BGB, § 358 Abs 4 S 1 BGB

Instanzenzug: Az: 19 U 7332/20vorgehend LG München I Az: 27 O 8009/20

Tatbestand

1Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.

2Der Kläger erwarb im Dezember 2014 einen Gebrauchtwagen BMW 320D zum Kaufpreis von 24.375 €. Zur Finanzierung des über eine Anzahlung von 4.000 € hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien mit Datum vom einen Darlehensvertrag über 20.375 €. Das Darlehen sollte in 59 Monatsraten zu je 246,99 € und einer Schlussrate von 9.018,75 € zurückgezahlt werden. Seite 5 des Darlehensvertrags enthält folgende Angabe über die Verzugsfolgen:

"Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr … berechnet."

3Nummer 3.3 der Allgemeinen Darlehensbedingungen der Beklagten enthält eine gleichlautende Regelung nebst der Ergänzung, dass der Basiszinssatz jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres ermittelt und von der Deutschen Bundesbank im Bundesanzeiger bekannt gegeben wird.

4Der Kläger löste das Darlehen im Dezember 2019 vertragsgemäß vollständig ab, worauf die Beklagte die Sicherheiten freigab. Mit Schreiben vom erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf als verfristet zurück.

5Mit der Klage hat der Kläger zuletzt (1.) die Zahlung von 27.591,16 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen (hilfsweise: nach) Herausgabe des finanzierten Fahrzeugs unter Anrechnung eines Wertverlusts in Höhe der Differenz zwischen dem Verkehrswert des Fahrzeugs bei Übergabe an ihn und demjenigen bei Rückgabe an die Beklagte und (2.) die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde, begehrt. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der - vom Senat im Hinblick auf den Zahlungsantrag zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Begehren insoweit weiter.

Gründe

6Die Revision ist unbegründet.

I.

7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Der Kläger habe seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht wirksam widerrufen. Der Widerruf sei verfristet, weil sich die Beklagte im Hinblick auf die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB berufen könne und im Übrigen die ihm zur Verfügung gestellte Vertragsurkunde alle für die Ingangsetzung der Widerrufsfrist erforderlichen Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB enthalten habe. Dies gelte insbesondere für die Angaben zum Verzugszinssatz.

II.

9Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

10Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein wirksamer Widerruf des streitgegenständlichen, gemäß § 358 Abs. 3 BGB mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen (Allgemein-)Verbraucherdarlehensvertrags nicht verneint werden. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrags gemäß § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hatte. Es hat aber zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 (in der hier maßgeblichen, vom bis zum geltenden Fassung) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB resultierende Verpflichtung, über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, ordnungsgemäß erfüllt hat.

11Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden und im Einzelnen begründet hat, erfordert zwar die Information über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB nach den Maßstäben des nationalen Rechts nicht die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 52 mwN). Im Geltungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46) genügt dies aber den Anforderungen des Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB nicht, sondern verlangt die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 179/21, WM 2022, 979 Rn. 11 f.). Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.

III.

12Das Berufungsurteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig, so dass die Revision zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).

13Der von dem Kläger mit der Revision verfolgte Klageanspruch aus § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB in der bis zum geltenden Fassung (im Folgenden: aF) i.V.m. § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB auf Rückgewähr der von ihm an die Beklagte geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen ist jedenfalls derzeit unbegründet. Insoweit steht der Beklagten - was sie mit der Klageerwiderung geltend gemacht hat - nach § 358 Abs. 4 Satz 1 aF i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB gegenüber dem vorleistungspflichtigen Kläger ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 608/20, WM 2021, 2248 Rn. 14 f.). Dass die Beklagte angeboten hätte, das Fahrzeug beim Kläger abzuholen (§ 357 Abs. 4 Satz 2 BGB), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit die Revision meint, die Beklagte könne sich auf das Leistungsverweigerungsrecht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht stützen, weil sie den Rückgewähranspruch des Klägers bereits dem Grunde nach in Abrede stelle, trifft dies nicht zu. Für den Kläger besteht in entsprechender Anwendung des § 322 Abs. 2 BGB die Möglichkeit, Zahlung "nach" Herausgabe des Fahrzeugs zu verlangen, was er allerdings in seinem Zahlungsantrag (lediglich) hilfsweise berücksichtigt hat. Des Weiteren setzt dies voraus, dass die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs im Verzug der Annahme ist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 29). Das ist hier nicht der Fall. Zwischen den Parteien steht aufgrund der rechtskräftigen Abweisung des Antrags des Klägers auf Feststellung des Annahmeverzugs fest, dass sich die Beklagte nicht in Annahmeverzug befunden hat (§ 322 Abs. 1 ZPO).

14Vorsorglich weist der Senat für ein etwaiges Folgeverfahren darauf hin, dass aus der Abweisung des Rückgewähranspruchs als derzeit unbegründet lediglich in Rechtskraft erwächst, dass der Kläger gegen die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keinen zur Zahlung fälligen Anspruch hatte, nicht dagegen, dass die Beklagte einem solchen Anspruch nicht weitere Einreden und Einwendungen entgegenhalten kann (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 193/20, BKR 2021, 371 Rn. 18 mwN).

IV.

15Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg vom (2 O 160/20, 2 O 320/20, juris) und vom (2 O 282/19, 2 O 384/19, 2 O 474/20, 2 O 480/20, juris) hat keinen Erfolg, weil sich die dort aufgeworfenen Fragen vorliegend nicht stellen oder - im Hinblick auf die Vorleistungspflicht des Käufers und Darlehensnehmers und eine diesbezügliche Vorlagepflicht - vom Senat bereits beantwortet worden sind (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 608/20, WM 2021, 2248 Rn. 19 f.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:181022UXIZR226.21.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-26343