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WP Praxis Nr. 2 vom Seite 53

Kapitalanlagebetrug und Börsenhandel

Zugleich Anmerkung zu der Entscheidung des

RA/WP/FAStR Harald Schumm

Der entschieden, dass eine zivilrechtliche Haftung von Vorstandsmitgliedern gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB unabhängig davon, ob die Anleihe von der Aktiengesellschaft selbst erworben wurde oder der Erwerb über den Sekundärmarkt, also über den Börsenhandel, erfolgt ist, gegeben sein kann. Der BGH hat damit seine in der Literatur anders verstandene Rechtsprechung , wonach § 264a StGB für den Sekundärmarkt nicht anwendbar sein sollte, aus Anlegerschutzgesichtspunkten konkretisiert. In dieser Entscheidung hat der BGH auch die bisherige Rechtsprechung zur grundsätzlichen Vermutung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist, fortgeführt. Schließlich darf sich nur ein redlicher Vorstand auf den uneingeschränkten Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers berufen.

Kernaussagen
  • § 264a StGB findet sowohl bei Emissionen des Primärmarkts als auch bei Erwerben über den Sekundärmarkt Anwendung.

  • Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum bei einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk ist nur unter besonderen Voraussetzungen möglich.

  • Die Vermutung für eine Kausalität von Prospektfehlern für die Anlageentscheidung kann widerlegt werden.

I. Der Sachverhalt

Im Zusammenhang mit dem Erwerb von Hypothekenanleihen der (inzwischen insolventen) Westfälische Grundbesitz und Finanzverwaltung AG („W-AG“) verlangt der Kläger von den Beklagten, die im Zeitpunkt der Emissionen der Anleihen den Vorstand der W-AG bildeten, Schadenersatz.

Die 2003 gegründete W-AG war als Immobilienentwickler tätig und finanzierte insbesondere durch acht öffentliche Hypothekenanleihen, von denen nur zwei zurückgezahlt wurden, den An- und Verkauf sowie die Verwaltung von Grundstücken.

Der Jahresabschluss der W-AG wies für das Geschäftsjahr 2007 ein Eigenkapital von 4,5 Mio. € aus.

Die W-AG erwarb im Jahr 2008 sechs Immobilien zum Preis von insgesamt 43.597.000 €, die sie am durch drei Verträge an drei jeweils am Vortag gegründete und als GmbH & Co. KG strukturierte Fonds (im Folgenden: Fonds Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3), die von ihrer Tochtergesellschaft deboka Deutsche Grund und Boden Kapital AG (im Folgenden: deboka AG) gehalten wurden, zu einem Kaufpreis i. H. von insgesamt 57.850.000 € verkaufte; Besitz, Nutzungen und Lasten sollten sofort übergehen. Die Kaufpreise waren (verzinslich) bis zum (Fonds Nr. 1), (Fonds Nr. 2) bzw. (Fonds Nr. 3) gestundet. An den Fonds, die ihre Geschäftsadresse mit der W-AG teilten, war jeweils der Vorstandsvorsitzende der W-AG beteiligt.

Die W-AG stellte die Kaufpreisforderungen mit ihrem (jeweiligen) Nennwert als offene Forderung in ihren Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2008 (Stichtag: 31. Dezember) ein, der damit einen Überschuss von 4.736.460,87 € aufwies. Die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft testierte am den Jahresabschluss, ohne Beanstandungen zu erheben.

Auch in dem am testierten Jahresabschluss der W-AG für das Geschäftsjahr 2009 vom wurde ein positives Eigenkapital i. H. von 7,1 Mio. € ausgewiesen. Die Kaufpreisforderungen waren im Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2009 immer noch i. H. von 57,85 Mio. € aktiviert. Ebenso verhielt es sich in der ungeprüften Zwischenbilanz der W-AG zum Stichtag ; die Aktivierung der Kaufpreisforderungen i. H. von 57,85 Mio. € führte dort zu einem Jahresüberschuss von 3,84 Mio. €.

In der Folgezeit gab die W-AG vier Anleihen mit einem Volumen von insgesamt 350 Mio. € (Emissionsvolumen der S. 54Anleihe W 05: 100 Mio. €, Emissionsvolumen der Anleihe W 06: 100 Mio. €, Emissionsvolumen der Anleihe W 07: 100 Mio. €, und Emissionsvolumen der Anleihe W 08: 50 Mio. €) heraus.

Nach Abschluss der notariellen Kaufverträge vom veröffentlichte die W-AG Wertpapierprospekte u. a. zu folgenden Anleihen: Bei der Anleihe W 05 erfolgte die Veröffentlichung des Prospekts am und die Zeichnungsfrist dauerte vom bis . Bei der Anleihe W 06 erfolgte die Veröffentlichung des Prospekts am und die Zeichnungsfrist dauerte vom bis . Bei der Anleihe W 07 erfolgte die Veröffentlichung des Prospekts am und die Zeichnungsfrist dauerte vom bis .

Den Wertpapierprospekten für die Anleihen W 05, W 06 und W 07 war jeweils der testierte Jahresabschluss der W- für das Geschäftsjahr 2008 beigefügt. Der Wertpapierprospekt zur Anleihe W 06 enthielt zusätzlich den ungeprüften Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2009.

Nachdem die drei Erwerberkommanditgesellschaften die mehrfach gestundeten Kaufpreise nicht hatten bezahlen können, trat die W-AG am von den Kaufverträgen zurück und nahm dies im Folgejahr zum Anlass, die Jahresabschlüsse für die Jahre 2008 und 2009 i. H. eines Betrags von 14,253 Mio. € (57,85 Mio.€ - 43,597 Mio. €: Differenzbetrag zwischen Kaufpreisforderungen und Anschaffungskosten) wertzuberichtigen und die Jahresabschlüsse zu ändern. In den korrigierten Jahresabschlüssen für die Jahre 2008 und 2009 wurden die Forderungen gegen die drei Fonds nunmehr mit dem Anschaffungspreis der Immobilien, also mit 43.597.000 € statt mit 57.850.000 €, bewertet. Infolgedessen wiesen die berichtigten und am testierten Jahresabschlüsse 2008 und 2009 nunmehr eine Überschuldung der W-AG aus, und zwar der Jahresabschluss für 2008 einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag i. H. von 6,6 Mio. € und der Jahresabschluss für 2009 einen solchen i. H. von 6,8 Mio. €. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft testierte diese Abschlüsse am . Gleichzeitig testierten die Wirtschaftsprüfer den Jahresabschluss der W-AG für 2010, in dem selbst unter Berücksichtigung der vorgenannten Wertberichtigungen ein positives Eigenkapital i. H. von 11 Mio. € festgestellt wurde.

Nach dem Rücktritt der W-AG von den drei Kaufverträgen am wurde kein geänderter Prospekt oder ein sonstiger Hinweis über die geänderten Jahresabschlüsse 2008 und 2009 kommuniziert.

Im Zusammenhang mit der Präsentation des Jahresabschlusses für 2010 veröffentlichte die W-AG am eine Pressemitteilung, in der darauf hingewiesen wurde, dass sie für das Geschäftsjahr 2008 eine Wertberichtigung im Zusammenhang mit dem Ausfall von Forderungen an drei Immobilienfonds vorgenommen habe, die bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht platziert worden seien. Die Verkäufe an die Fonds seien rückabgewickelt und die dazugehörigen Immobilien erfolgreich einer neuen Verwertung zugeführt worden. Der Pressemitteilung war ein Link auf den vollständig abruf- und herunterladbaren Geschäftsbericht beigefügt. Im Januar 2012 wurden die berichtigten Jahresabschlüsse der W-AG für 2008 und 2009 im Bundesanzeiger veröffentlicht.

Der Jahresabschluss der W-AG für das Geschäftsjahr 2011 wies zum eine Überschuldung aus. Am stellte der Vorstand der W-AG einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Mit wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet. Mit Hilfe einer Unternehmensberatung und eines Sachwalters wurde ein Insolvenzplan ausgearbeitet, der Forderungsverzichte und Stundungen seitens der Gläubiger der W-AG vorsah. Nach Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan bestätigte das Amtsgericht Düsseldorf denselben und hob das Insolvenzverfahren am wieder auf. Nachdem die Restrukturierung misslungen war, wurde auf Antrag des Vorstands der W- am erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen der W-AG angeordnet.

Der Kläger hatte zwischen dem und dem mehrfach die Anleihe W 06, am und am jeweils die Anleihe W 07 und zwischen dem und dem mehrfach die Anleihe W 05 gekauft. Der Kläger hatte vorgetragen, es bestehe eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit den §§ 263, 264a StGB, § 400 AktG, § 15a InsO sowie § 826 BGB. Die Wertpapierprospekte zu den Anleihen W 05, W 06 und W 07 vermittelten ein falsches Bild von der Finanz- und Ertragslage der W-AG in den Geschäftsjahren 2008 und 2009, um dadurch die Anleihen besser vermarkten zu können. Die W-AG sei bereits im Juni/Juli 2008 zahlungsunfähig gewesen. Hätte er dies gewusst, hätte er zu keinem Zeitpunkt auch nur eine einzige Anleihe der W-AG erworben.

Das Landgericht Düsseldorf hat die auf Erstattung der Kaufpreise – abzüglich erhaltener Zinsen und Ausschüttungen – nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte an den Anleihen, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Erstattung entgangener Zinseinnahmen und außergerichtlich entstandener Kosten der Rechtsverfolgung gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, soweit mit ihr Erstattung entgangener Zinseinnahmen begehrt worden ist. Hinsichtlich des weiteren Klagebegehrens hat es auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil geändert und der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragen die Beklagten, das Berufungsurteil aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist, und die Berufung des Klägers insgesamt zurückzuweisen. Mit der Anschlussrevision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Erstattung entgangener Zinseinnahmen weiter.