OFD Karlsruhe - S 0166

Abtretung und Verpfändung von Steuererstattungs- und Steuervergütungsansprüchen

1 Wirksamkeit der Abtretung bzw. Verpfändung

Nach § 46 Abs. 1 AO können Erstattungs- und Vergütungsansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach ihrer Entstehung abgetreten oder verpfändet werden. Die Abtretung erfolgt nach §§ 398 ff BGB, die Verpfändung nach den §§ 1273, 1274,1279 ff BGB mit den sich aus § 46 AO ergebenden Einschränkungen. Voraussetzung für eine wirksame Abtretung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist eine Anzeige an die zuständige Finanzbehörde. Weitere Voraussetzungen sind der Zugang der Anzeige bei der zuständigen Finanzbehörde, die Erstattungsberechtigung des Abtretenden und die Verfügbarkeit des abgetretenen Anspruchs.

Eine wirksame Abtretung setzt voraus, dass der Abtretende Inhaber des abgetretenen Anspruchs ist. Erstattungsberechtigter ist derjenige, auf dessen Rechnung eine Zahlung bewirkt worden ist, auch wenn ein Dritter die Zahlung tatsächlich geleistet hat. Soweit einer von mehreren Gesamtschuldnern gezahlt hat oder für seine Rechnung die Steuer einbehalten und abgeführt worden ist, ist nur er erstattungsberechtigt. Weist bei einem Erstattungsanspruch aus einer Zusammenveranlagung die Abtretungsanzeige nur einen Ehegatten/Lebenspartner als Abtretenden auf oder ist sie nur von einem Ehegatten/Lebenspartner unterschrieben, ist sie nur in Höhe des auf ihn entfallenden Anteils am Erstattungsbetrag wirksam. Zur Zurechnung des Erstattungsbetrags bei zusammenveranlagten Ehegatten/Lebenspartnern vgl. AEAO zu § 37 Nr. 2.3 und BStBl I S. 83.

Zur konkreten Bezeichnung des abgetretenen Anspruchs vgl. AO-Kartei BW § 46 Karte 1. Mit der wirksamen Abtretung tritt der Abtretungsempfänger in die Rechtsstellung des Abtretenden als Inhaber des Erstattungs- und Vergütungsanspruchs ein. Mit Zugang der Abtretungsanzeige kann das Finanzamt den Erstattungsbetrag nicht mehr mit befreiender Wirkung an den Abtretenden leisten. Bis zur Höhe des abgetretenen Anspruchs hat das Finanzamt die Erstattung an den Abtretungsempfänger zu leisten, sobald der Erstattungsbetrag verfügbar ist.

2 Anzeige der Abtretung oder Verpfändung

Die Abtretungsanzeige ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit dem Zugang beim Finanzamt wirksam wird. Ein Widerruf ist nur mit Zustimmung des Abtretungsempfängers möglich (§ 409 Abs. 2 BGB).

Für die Anzeige der Abtretung oder Verpfändung eines Erstattungs- oder Vergütungsanspruchs ist der im BStBl I veröffentlichte amtliche Vordruck in der jeweils gültigen Fassung zu verwenden. Die Anzeige der Abtretung oder Verpfändung auf einem wegen Neufassung des amtlichen Vordrucks nicht mehr gültigen amtlichen Vordruck alter Fassung ist unschädlich, wenn das neu gefasste Anzeigeformular gegenüber dem verwendeten Vordruck nur unwesentliche Änderungen aufweist. Eine vor Entstehung des Anspruchs eingehende Anzeige ist unwirksam. Die Unwirksamkeit wird nicht durch die spätere Entstehung des Anspruchs geheilt; die Anzeige muss ggf. wiederholt werden. Im Hausbriefkasten oder Postfach des Finanzamts eingehende Post ist nach den hierzu getroffenen Regelungen ggf. mit einem Eingangstag zu versehen, der vor dem Tag der Leerung des Briefkastens oder Postfachs liegt. Diese Handhabung kann dazu führen, dass Abtretungs- oder Verpfändungsanzeigen, die in den ersten Tagen eines Kalenderjahres im Hausbriefkasten oder im Postfach des Finanzamts eingehen, als Eingangsdatum ein Datum (31.12., 30.12. oder 29.12.) des abgelaufenen Kalenderjahres erhalten. Wäre dieser Eingangstag maßgeblich, müssten diese Abtretungen oder Verpfändungen in den Fällen, in denen der abgetretene oder verpfändete Steuererstattungsanspruch erst mit Ablauf des jeweiligen 31. Dezember entstanden ist, nach § 46 Abs. 2 AO als verfrüht angezeigt und damit als unwirksam angesehen werden. Um in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten zu vermeiden, sind deshalb Abtretungs- oder Verpfändungsanzeigen, die dem Hausbriefkasten oder Postfach des Finanzamts bei der ersten Leerung am ersten Werktag eines Jahres entnommen werden, entsprechend zu kennzeichnen (z.B. Vermerk ,,1. Postfachleerung am , 7.30 Uhr’’).

Abtretungsanzeigen, die per Fax oder E-Mail übermittelt werden, werden wirksam, sobald die Kenntnisnahme durch die Finanzbehörde möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies bedeutet, dass bei Eingang der Anzeige während der üblichen Dienststunden der Finanzbehörde, diese im Zeitpunkt der vollständigen Übermittlung wirksam wird. Bei Eingang außerhalb der üblichen Dienststunden der Finanzbehörde tritt die Wirksamkeit der Anzeige zum Zeitpunkt des Dienstbeginns am nächsten Arbeitstag ein, vgl. AEAO zu § 46 Nr. 7.

Ist die Abtretungsanzeige beim unzuständigen Finanzamt eingegangen und an das zuständige Finanzamt weitergeleitet worden, so ist dem Anzeigenden ebenfalls eine entsprechende Abgabenachricht zu erteilen. Dabei wird er darauf hingewiesen, dass die Anzeige erst mit dem Eingang beim zuständigen Finanzamt wirksam wird.

In steuerlich nicht geführten Fällen ist bei Eingang einer Abtretungs- oder Verpfändungsanzeige hinsichtlich etwaiger Steuererstattungen ein Überwachungskonto anzulegen.

3 Schutzwirkung der Anzeige nach § 46 Abs. 5 AO

Gelangt das Finanzamt nach Überprüfung der Abtretungsanzeige zu dem Ergebnis, dass die Abtretung wirksam ist, zahlt es deshalb den Erstattungs- oder Vergütungsbetrag an den Abtretungsempfänger aus und stellt sich danach die Unwirksamkeit der Abtretung heraus, so kann sich das Finanzamt nach § 46 Abs. 5 AO auf sein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Abtretung berufen und eine nochmalige Erstattung ablehnen. Dabei können die Wirksamkeitsmängel im Abtretungsvertrag oder in der Anzeige selbst liegen (, BFH/NV 2006 S. 1442).

Das Finanzamt ist nicht verpflichtet, vor Auszahlung des Erstattungs- oder Vergütungsbetrages die Wirksamkeit des zugrundeliegenden Abtretungsvertrags zu überprüfen. Diese Schutzwirkung greift grundsätzlich auch dann, wenn das Finanzamt weiß, dass die Abtretung unwirksam ist. Voraussetzung ist aber, dass die Abtretung gegenüber dem Finanzamt wirksam angezeigt worden ist. Hat der Steuerpflichtige selbst die Abtretung wirksam angezeigt, muss er sie trotz Unwirksamkeit des Abtretungsvertrags gegen sich gelten lassen. Wird allerdings die Abtretungsanzeige vom Abtretenden nicht unterschrieben, dessen Unterschrift gefälscht oder ist der Unterzeichner nicht vertretungsbefugt, ist eine Zahlung mit befreiender Wirkung im Vertrauen auf § 46 Abs. 5 AO an den in der Abtretungsanzeige benannten Empfänger nicht möglich.

4 Behandlung unwirksamer Abtretungen oder Verpfändungen

Bei groben Fehlern (z.B. wenn die Abtretung nicht auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck angezeigt worden ist, wenn die Abtretungsanzeige vom Abtretenden oder Abtretungsempfänger nicht unterzeichnet ist oder wenn die Abtretungsanzeige dem Finanzamt vor Entstehung des Anspruchs zugegangen ist), soll das Finanzamt den Abtretenden und den Abtretungsempfänger auf die Rechtslage hinweisen und die angezeigte Abtretung nicht anerkennen (Vordruck S1-32). Dabei ist zu beachten, dass dem Abtretungsempfänger über Angaben zur Unwirksamkeit und deren Gründe hinaus keine weiteren Angaben gemacht werden, die dem Steuergeheimnis unterliegen (z.B. darüber, ob und in welcher Höhe ein Erstattungs- oder Vergütungsanspruch des Abtretenden gegeben ist).

Wird keine ordnungsgemäße Anzeige nachgereicht, ist dem Abtretungsempfänger, sofern dieser auf Zahlung besteht oder Einspruch erhebt, ein Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO zu erteilen und das Vorliegen eines Zahlungsanspruchs darin zu verneinen. Dieser an den Abtretungsempfänger zu richtende, mit der Rechtsbehelfsbelehrung für den Einspruch zu versehende Bescheid kann wie folgt abgefasst werden:

,,Betrifft: Abtretungsanzeige vom ... über die Abtretung des Anspruchs des/der ...auf Erstattung von ...
Bezug: .................................................................
Bescheid nach § 218 Abs. 2 AO
Die vorgenannte Abtretungsanzeige ist wegen ... nicht wirksam. Ein Zahlungsanspruch zu Ihren Gunsten aufgrund der von Ihnen angezeigten Abtretung besteht daher nicht.’’

5 Verbot des geschäftsmäßigen Erwerbs von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen

Nach § 46 Abs. 4 Satz 1 AO ist der geschäftsmäßige Erwerb von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen zum Zwecke der Einziehung oder sonstigen Verwertung auf eigene Rechnung unzulässig. Bei einem Verstoß gegen § 46 Abs. 4 AO ist die Abtretung nichtig (§ 46 Abs. 5 letzter Halbsatz AO), vgl. AEAO zu § 46 Nr. 2.

6 Aufrechnung gegen den abgetretenen Steuererstattungs- oder Steuervergütungsanspruch

Gegen den abgetretenen Erstattungs- oder Vergütungsanspruch kann das Finanzamt mit Steuerforderungen, die gegenüber dem Abtretenden bestehen, auch nach Wirksamwerden der Abtretung gegenüber dem Neugläubiger, aufrechnen, es sei denn, dass das Finanzamt im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerforderung, mit der es aufrechnen will, von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Steuerforderung erst nach Erlangung der Kenntnis und später als der abgetretene Anspruch fällig geworden ist (§ 406 BGB). Die Aufrechnung gegenüber dem Neugläubiger ist jedoch nur solange möglich, wie im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung die Aufrechnungslage noch fortbesteht. Erklärt der Neugläubiger seinerseits früher als das Finanzamt mit der ihm abgetretenen Forderung gegen eigene Steuerschulden die Aufrechnung, geht die Aufrechnungserklärung des Finanzamts ins Leere.

7 Mehrfache Abtretung/Verpfändung, Konkurrenz zwischen Abtretung/Verpfändung und Pfändung

Bei mehrfacher Abtretung ein und desselben Erstattungsanspruchs kommt es entsprechend dem zivilrechtlichen Grundsatz der Priorität auf die zeitliche Reihenfolge des Eingangs der Abtretungsanzeigen an. Die zuerst angezeigte Abtretung ist wirksam. Nur an den in dieser Abtretungsanzeige genannten Abtretungsempfänger kann das Finanzamt mit schuldbefreiender Wirkung leisten. Sind bei mehrfacher Abtretung die Anzeigen am selben Tag und zum gleichen Zeitpunkt beim Finanzamt eingegangen, kann das Finanzamt nicht über den Vorrang entscheiden. Es hat vielmehr den geschuldeten Betrag zu hinterlegen (§ 372 BGB).

Für den Fall mehrfacher Verpfändung oder für den Fall des Zusammentreffens von Abtretung und Verpfändung gelten die vorstehenden Grundsätze entsprechend. Zum Fall der Konkurrenz zwischen Pfändung und Abtretung/Verpfändung, vgl. AO-Kartei BW § 46 Karte 1.

8 Überleitung von Steuererstattungsansprüchen nach § 93 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)

Unter den Voraussetzungen des § 93 SGB XII können Steuererstattungsansprüche eines Sozialhilfeempfängers auf den Träger der Sozialhilfe übergeleitet werden. Voraussetzung ist u.a. die Zeitgleichheit von Hilfegewährung und Entstehung des Steuererstattungsanspruchs (§ 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII). Zeitgleichheit ist nur dann gegeben, wenn der Erstattungsanspruch bereits zu Beginn des Zeitraums, für den die der Überleitung zugrundeliegenden Sozialleistungen gewährt wurden, entstanden ist.

Beispiel

Sozialhilfe wird ab gewährt.

Es können nur die gemäß § 38 AO bis zum bereits entstandenen Steuererstattungsansprüche übergeleitet werden: z.B. Einkommensteuer für Veranlagungszeiträume 07 und früher; Umsatzsteuer für Voranmeldungszeiträume November 08 und früher.

Zur Überleitung des Steuererstattungsanspruchs bedarf es einer Anzeige (§ 93 Abs. 1 SGB XII) an das Finanzamt. Diese hat die Wirkung einer Abtretung (vgl. BStBl I, S. 500). In Anlehnung an § 46 Abs. 2 und 6 AO ist die Überleitung von Steuererstattungsansprüchen nach § 93 SGB XII jedoch nur wirksam, wenn die Anzeige des Sozialhilfeträgers dem Finanzamt erst nach Entstehung des Steuererstattungsanspruchs zugeht.

Nach Eingang einer Überleitungsanzeige gibt das Finanzamt gegenüber dem Sozialhilfeträger eine Erklärung nach Art der Drittschuldnererklärung bei der Pfändung ab, vgl. AO-Kartei BW § 46 Karte 1. Ist streitig, ob die Überleitung des Erstattungsanspruchs wirksam ist, wird dies auf der Grundlage eines Abrechnungsbescheides (§ 218 Abs. 2 AO) entschieden.

9 Änderung des abgetretenen Steueranspruchs und Rückforderung von Erstattungsbeträgen nach einer Abtretung, Verpfändung, Pfändung

Die Vollabtretung eines Steuererstattungsanspruchs erfasst in der Regel auch dessen Erhöhung aufgrund späterer Änderung oder Berichtigung des ursprünglichen bestandskräftigen Steuerbescheides (vgl. AO-Kartei § 46 AO Karte 1). Die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen kraft Gesetzes in der Regel mit Ablauf des Jahres, für das die Steuer erhoben wird, bzw. mit der Überzahlung, falls sie später eintritt. Wird der Erstattungsanspruch im Steuerbescheid irrtümlich zu niedrig konkretisiert, hat dies auf den Umfang der Abtretung keine Auswirkung. Wird später aufgrund von Änderungsvorschriften (z.B. §§ 129, 164 Abs. 2, 165 Abs. 2, 173, 174 AO) die richtige steuerliche Folge gezogen, wird die dadurch verursachte Auszahlung von der Abtretung mit umfasst. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Grundlage für die Änderung erst nach der Abtretung eingetreten ist (z.B. bei Verlustrücktrag oder rückwirkendem Ereignis). Diese Rechtslage erfordert somit grundsätzlich eine Überwachung.

Eine Teilabtretung wirkt nur in Höhe des bezifferten Betrags. Bei nicht oder nicht voll befriedigter Abtretung erfordert die Rechtslage auch hier eine Überwachung.

Bei Änderungen zuungunsten des Steuerpflichtigen ist § 37 Abs. 2 Satz 3 AO zu beachten. Nach dieser Vorschrift richtet sich der Rückforderungsanspruch zugleich an den Abtretungsempfänger als Leistungsempfänger der ohne rechtlichen Grund geleisteten Zahlung und an den Abtretenden selbst. Abtretender und Abtretungsempfänger sind Gesamtschuldner des Rückforderungsanspruchs. Der Steuerbescheid einschließlich Abrechnung ist dem Steuerpflichtigen bekannt zu geben. Nach pflichtgemäßem Ermessen ist grundsätzlich auch das Leistungsgebot gegen ihn zu richten. Kann der Steuerpflichtige den Rückforderungsanspruch nicht erfüllen, ist anschließend gegenüber dem Abtretungsempfänger der Anspruch durch Bescheid nach § 37 Abs. 2 i. V. m. § 218 Abs. 2 Satz 2 AO geltend zu machen.

OFD Karlsruhe v. - S 0166

Fundstelle(n):
AO-Kartei BW AO § 46 Karte Karte 2
PAAAJ-35457