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BBK Nr. 10 vom Seite 459

Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer bei Gebäuden nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG

Anmerkungen zum neuen BMF-Schreiben

Ingeborg Esser

[i]BMF, Schreiben v. 22.2.2023 - IV C 3 - S 2196/22/10006: 005 NWB OAAAJ-34293 Im Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2022 war vorgesehen, die Möglichkeit des Nachweises einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer bei Gebäuden zu streichen. Begründet wurde dies mit der Einführung eines neuen Normalabschreibungssatzes für neue Wohngebäude i. H. von 3 % und mit einem BFH-Urteil, das den Nachweis der kürzeren Nutzungsdauer deutlich vereinfacht hat. Im Laufe der parlamentarischen Beratungen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages wurde nach massiver Kritik davon Abstand genommen. Nun hat das BMF am ein neues Schreiben zu dieser Problematik veröffentlicht. Der Beitrag soll dieses BMF-Schreiben analysieren und bewerten, auch unter dem Gesichtspunkt, inwieweit es die aktuelle BFH-Rechtsprechung in dieser Sache zurückdreht.

I. AfA nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG vs. Gebäude-AfA nach typisierter Nutzungsdauer

[i]Hänsch, Gebäudeabschreibung im Betriebs- und Privatvermögen (EStG), infoCenter NWB YAAAA-88433 Grundsätzlich werden Gebäude im Steuerrecht nicht nach ihrer voraussichtlichen tatsächlichen Nutzungsdauer, sondern mit typisierten Abschreibungssätzen abgeschrieben.

Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG beträgt diese sog. steuerliche Normalabschreibung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
AfA bei Gebäuden, die nicht Wohnzwecken dienen:
Bauantrag gestellt/angeschafft bis
4 %
Bauantrag gestellt/angeschafft ab
3 %
AfA bei Gebäuden, die Wohnzwecken dienen:
Vor fertig gestellt
2,5 %
Ab bis fertig gestellt
2 %
Ab fertig gestellt
3 %S. 460

Diese Normalabschreibungssätze werden nicht nur auf die ursprünglichen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten angewendet, sondern auch auf nachträgliche aktivierungspflichtige Herstellungskosten. Damit wird aber die Nutzungsdauer im Steuerrecht, anders als im Handelsrecht, mit jeder aktivierungspflichtigen Investition verlängert.

[i]Anwendungsfälle einer tatsächlich kürzeren NutzungsdauerInsoweit liegt die Bedeutung des Nachweises einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer gem. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG vor allem vor

  • bei Bestandsgebäuden, die unmodernisiert erworben werden, die technische und/oder wirtschaftliche Nutzungsdauer also kürzer ist,

  • bei Abbruchabsicht oder

  • wenn die rechtlichen Nutzungsmöglichkeiten eines Gebäudes tatsächlich beschränkt sind.

II. Rechtfertigungsgründe für eine AfA nach der tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer

1. Technischer oder wirtschaftlicher Verschleiß

[i]Ermessensspielraum beim wirtschaftlichen VerschleißEine Abschreibung nach der tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer kommt in Betracht, wenn ein Gebäude vor Ablauf der typisierten Nutzungsdauer objektiv betrachtet technisch und/oder wirtschaftlich verbraucht ist. Während die technische Nutzungsdauer eines Gebäudes im Wesentlichen bestimmt wird durch den Baukörper an sich, also den tragenden Rohbau, ist bei der wirtschaftlichen Nutzungsdauer häufig deutlich mehr Spielraum für Interpretationen gegeben. Auch Gebäude, die technisch eben noch nicht verbraucht sind, können wirtschaftlich nicht mehr nutzbar sein. Hier kommen zwei Aspekte ins Spiel: Zum einen die wirtschaftlich nicht mehr sinnvolle Nutzung eines Gebäudes in der bisherigen Funktion und zum anderen eine nicht mehr sinnvolle anderweitige Nutzung.