BFH Beschluss v. - VIII B 13/22

Zur Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Prüfungsanordnung gegenüber einem Berufsgeheimnisträger

Leitsatz

1. NV: Es ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass die Anordnung einer Außenprüfung gegenüber einem Berufsgeheimnisträger auch im Hinblick auf einen mit der Prüfung verbundenen möglichen Schwärzungs- und Anonymisierungsaufwand von Belegen per se weder unverhältnismäßig noch willkürlich ist.

2. NV: Ferner ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass über die Frage, ob und in welchem Umfang ein Berufsgeheimnisträger Unterlagen mit mandantenbezogenen Angaben innerhalb der Außenprüfung vorlegen und gegebenenfalls schwärzen muss, im Rahmen der Anfechtung eines konkreten Vorlageverlangens zu entscheiden ist.

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO § 5; AO § 193 Abs. 1; EStG § 18 Abs. 1;

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

2 Auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Revision nicht zuzulassen und das Urteil des Finanzgerichts (FG) nicht wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben sowie der Streitfall zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die Voraussetzungen der von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) und der Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) sind nicht erfüllt. Die gerügten Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in Gestalt von behaupteten Verletzungen des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegen nicht vor. Der Antrag der Klägerin vom , weitere Akten zum Beschwerdeverfahren beizuziehen, war abzulehnen.

3 1. Die Revision ist nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der von der Klägerin unter F.I der Beschwerdebegründung vom aufgeworfenen Rechtsfrage zuzulassen. Eine Rechtsfrage, die nur auf der Grundlage eines anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt entscheidungserheblich ist, ist in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig (, Rz 16). Die Klägerin wirft in der Beschwerdebegründung eine solche nicht klärungsbedürftige Frage auf.

4 Sie hebt in der Beschwerdebegründung hervor, die angefochtene Prüfungsanordnung sei wegen ihrer umfassenden Mitwirkung im Besteuerungsverfahren ohne einen konkreten Prüfungsanlass ergangen. Da die Verfahrensrügen der Klägerin nicht durchgreifen (s. unter 4.), steht nach den Feststellungen des FG jedoch nicht fest, dass für den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) kein plausibler und nachvollziehbarer Prüfungsanlass bestand. Auf Seite 25 seines Urteils hat das FG die im Beteiligtenvortrag des FA im Tatbestand wiedergegebenen Prüfungsanlässe (S. 15 und 16 des FG-Urteils) als solche nachvollziehbaren und plausiblen Prüfungsanlässe für das FA festgestellt. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage könnte daher in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, denn sie setzt eine anlasslos angeordnete Prüfung voraus. Da es sich bei dem Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) um einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung handelt (vgl. , Rz 7), ist die Revision mangels Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zuzulassen.

5 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hinsichtlich der aufgeworfenen Frage zuzulassen, ob die Anordnung der Prüfung gegenüber einem Berufsgeheimnisträger generell unverhältnismäßig ist, weil diesem im Vergleich zu anderen Steuerpflichtigen durch die Prüfung ein gegenüber anderen Steuerpflichtigen besonderer Schwärzungs- und Anonymisierungsaufwand entstehen kann.

6 a) Es ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass auch gegen gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtete und zur Verweigerung von Auskünften berechtigte Personen, wie Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, eine Außenprüfung angeordnet werden kann, weil die Frage der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung von der Frage nach der Rechtmäßigkeit einzelner Vorlageverlangen im Zuge der Außenprüfung zu unterscheiden ist. Die Anordnung einer Außenprüfung gegenüber einem Berufsgeheimnisträger ist daher per se weder unverhältnismäßig noch willkürlich (, BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579, Rz 15, 17; ebenso , BFH/NV 2006, 2034, unter II.3. und II.5.). Das Recht zur Verweigerung von Auskünften gemäß § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b der Abgabenordnung (AO) kann danach nur die Mitwirkungspflicht der Klägerin im Rahmen der Außenprüfung, nicht aber die Zulässigkeit der Prüfung selbst beschränken. Dies wird vom BFH insbesondere mit dem Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung (§ 85 AO) begründet, dessen Befolgung beeinträchtigt werden könnte, wenn sich Angehörige bestimmter in § 193 Abs. 1 AO benannter Berufsgruppen unter Berufung auf eine Verschwiegenheitspflicht der Überprüfung ihrer im Besteuerungsverfahren gemachten Angaben generell entziehen könnten (BFH-Urteile in BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579, Rz 13 und in BFH/NV 2006, 2034, Rz 9). Die Frage, in welchem Umfang ein Berufsgeheimnisträger Unterlagen mit mandantenbezogenen Angaben vorlegen und gegebenenfalls schwärzen muss und ob es sich bei einem Vorlageverlangen in der Außenprüfung zu mandantenbezogenen Unterlagen um eine verhältnismäßige Prüfungshandlung handelt, ist durch die verfahrensrechtlich eigenständige Anfechtung des Vorlageverlangens zu klären (vgl. , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, Rz 21, 22, Rz 40 bis 46).

7 b) Aus welchem Grund die zitierte BFH-Rechtsprechung zum Erlass einer Prüfungsanordnung gegenüber einem Berufsgeheimnisträger Anlass dazu gibt, die dargelegten Grundsätze zur generellen Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Prüfungsanordnung gegenüber Berufsgeheimnisträgern höchstrichterlich erneut zu überprüfen, wird von der Klägerin nicht schlüssig erläutert. Indem sie ausschließlich sachverhaltsbezogene Besonderheiten des Streitfalls zu dem BFH-Urteil in BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579 und dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 2034 beschreibt, legt sie keine neuen abstrakten Gesichtspunkte dar, die es nahelegen könnten, die bisherige Rechtsprechung erneut zu hinterfragen.

8 c) Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO mit dem Vortrag begehrt, § 193 Abs. 1 AO sei im Hinblick auf die generelle Zulässigkeit der Anordnung einer Außenprüfung bei Berufsgeheimnisträgern verfassungswidrig, erfüllt der Vortrag die Anforderung an die Darlegung des Zulassungsgrundes nicht.

9 aa) Wirft ein Beschwerdeführer —wie die Klägerin im Streitfall— mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Fragen als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, so erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 42/19, Rz 5; vom  - VIII B 166/19, Rz 10; vom  - VIII B 9/22, Rz 6). Hat der BFH in einer früheren Entscheidung begründet, warum er eine Norm nicht für verfassungswidrig hält, muss in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt werden, warum eine erneute Klärung der Frage geboten ist (BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 94/18, Rz 4; vom  - VIII B 9/22, Rz 6).

10 bb) Daran fehlt es. Wie oben dargelegt, hat der BFH in dem Urteil in BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579 und dem Beschluss in BFH/NV 2006, 2034 die Zulässigkeit einer Außenprüfung auch bei Berufsgeheimnisträgern unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten insbesondere mit dem Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung (§ 85 AO) gerechtfertigt. Die Klägerin setzt sich hiermit und mit dem aus dieser Rechtsprechung abzuleitenden Argument, dass das Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung für alle von ihr als verletzt benannten Grundrechte (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 GG) als Rechtsfertigungsgrund tragend sein könnte, in der Beschwerdebegründung nicht auseinander. Sie beschreibt ausschließlich den ihr aufgrund der Verschwiegenheitspflicht eventuell drohenden Mehraufwand. Ferner bezieht sie in ihre verfassungsrechtlichen Ausführungen nicht ein, dass über eine Schwärzungs- und Anonymisierungspflicht aufgrund eines Vorlageverlangens nicht im Verfahren des Erlasses der Prüfungsanordnung, sondern erst in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden ist. Es hätte daher zur Darlegung der behaupteten Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 193 Abs. 1 AO auch einer Erläuterung der Klägerin bedurft, warum sie trotz dieser verfahrensrechtlichen Zweiteilung schon durch den Erlass der Prüfungsanordnung aufgrund eines umfangmäßig zu diesem Zeitpunkt gar nicht feststehenden Schwärzungs- und Anonymisierungsaufwands in den genannten Grundrechten verletzt sein soll.

11 cc) Auch im Hinblick auf die geltend gemachte Unvereinbarkeit von § 193 Abs. 1 AO mit Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCH) erfüllt die Klägerin die Darlegungsanforderungen nicht. Sie betont, dass ein Schwärzungs- und Anonymisierungsaufwand im Zusammenhang mit einer Außenprüfung für sie zu einem unverhältnismäßigen —existenzbedrohenden— Aufwand führen würde. Im Streitfall steht indes nicht fest, in welchem Umfang sie im Fall einer Durchführung der Prüfung überhaupt betroffen sein wird, da sie gegen ein konkretes Vorlageverlangen vorgehen kann. Ferner setzt sich die Klägerin auch insoweit nicht damit auseinander, inwieweit nach der zu Art. 16 EUGrdRCH existierenden Rechtsprechung eine Außenprüfung auch gegenüber Berufsgeheimnisträgern mit dem Argument eines gleichmäßigen Steuervollzugs nach Art. 52 EUGrdRCH gerechtfertigt werden könnte (hierzu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 1. Aufl. 2018, Teil 1 II. Potentielle Eingriffe durch Steuergesetze, Rz 36, m.w.N.).

12 3. Eine Zulassung aufgrund der von der Klägerin behaupteten schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kommt nicht in Betracht. Zwar kann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO die Revision unter anderem auch dann zuzulassen sein, wenn dem FG ein so schwerwiegender Rechtsfehler unterläuft, dass eine greifbar gesetzwidrige oder willkürliche Entscheidung vorliegt, deren Fortbestehen das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen würde und einer Korrektur durch das Revisionsgericht bedarf. Ein solcher Rechtsfehler des FG ist im Streitfall aber nicht erkennbar.

13 a) Greifbare Gesetzwidrigkeit ist anzunehmen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat oder sein Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt beziehungsweise auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Eine Entscheidung ist (objektiv) willkürlich, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Von Willkür kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt. Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche Rechtsfehler reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (s. zum Ganzen BFH-Beschlüsse vom  - VI B 58/16, Rz 4 bis 6; vom  - VIII B 154/17, Rz 18; vom  - VIII B 99/18, Rz 7).

14 b) Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen im Sinne des § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu prüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung gemäß § 102 FGO ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, das heißt bezogen auf den Streitfall die Einspruchsentscheidung (vgl. , BFHE 277, 39, BStBl II 2023, 213, Rz 18, 30, m.w.N.). Wie bereits dargelegt, hält der BFH unter Anwendung dieser Grundsätze und einer hierzu gefestigten Rechtsprechung die Anordnung einer Außenprüfung gegenüber einem Berufsgeheimnisträger auch im Hinblick auf dessen Verschwiegenheitspflicht und den damit verbundenen Schwärzungs- und Anonymisierungsaufwand ohne eine besondere Begründung für zulässig (BFH-Urteil in BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579; BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 2034).

15 c) Das FG hat dies in seinem Urteil berücksichtigt. Es legt ab Seite 21 ff. des Urteils ausführlich dar, dass die Klägerin zu dem Personenkreis des § 193 Abs. 1 AO gehört, ist der Sichtweise der Klägerin entgegen getreten, es habe keinen Prüfungsanlass gegeben, und hat sich auf die Grundsätze des BFH-Urteils in BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579 gestützt. Es hat bei der Überprüfung der Ermessensausübung des FA ferner darauf abgestellt, dass das behördliche Ermessen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot begrenzt werde. Ebenso hat es berücksichtigt, dass sich die Finanzverwaltung in Bezug auf die Ermessensausübung bei der Anordnung sowie der Durchführung einer Außenprüfung in der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) eine Selbstbindung auferlegt hat. Ferner hat das FG die Ermessensausübung des FA im Streitfall anhand dieser abstrakten Kriterien beurteilt und ab Seite 24 des Urteils seine Würdigung, die Anordnung der Außenprüfung sei danach weder unverhältnismäßig noch willkürlich, plausibel und nachvollziehbar begründet.

16 Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Standpunkt des FG auf Seite 25 des Urteils, für eine ermessensgerechte Anordnung der Außenprüfung komme es im Einzelnen nicht darauf an, ob die vom FA dargelegten Prüfungsanlässe allesamt zu entsprechenden Prüfungsfeststellungen führen würden, sondern es sei ausreichend, dass die vom FA aufgeführten Prüfungsanlässe und die damit aufgeworfenen Fragen nachvollziehbar seien, weder greifbar gesetzwidrig noch willkürlich.

17 4. Die Revision ist auch nicht wegen der gerügten Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen oder die Vorentscheidung wegen solcher Fehler gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und der Streitfall an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

18 a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet das FG, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen (sog. Beachtenspflicht). Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst verletzt, wenn das Gericht Sachverhalt und Sachvortrag, auf den es ankommen kann, nicht nur nicht ausdrücklich bescheidet, sondern bei seiner Entscheidung überhaupt nicht berücksichtigt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 133/18, Rz 4; vom  - X B 138/14, Rz 24; vom  - VIII B 97/21, Rz 9).

19 b) Soweit die Klägerin einen Verstoß des FG gegen ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs darin sieht, dass es ihren Vortrag zu den vom FA lediglich „erfundenen“ Prüfungsanlässen nicht beachtet habe, wird die Gehörsrüge bereits nicht schlüssig begründet. Das FG hat den Vortrag der Klägerin hierzu im Tatbestand der Entscheidung gerafft wiedergegeben und in den Entscheidungsgründen dargelegt, warum es die angegebenen Prüfungsanlässe für nachvollziehbar hält.

20 Außerdem kommt es für die Frage, inwieweit das FG den Vortrag eines Beteiligten berücksichtigen muss, auf den materiell-rechtlichen Standpunkt des FG an. Das FG hatte bei seiner Würdigung des Streitfalls als Maßstab zugrunde gelegt, dass die Anordnung einer Außenprüfung auch gegenüber einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Steuerpflichtigen grundsätzlich keiner besonderen Begründung bedürfe und das insoweit freie Auswahl- und Entschließungsermessen des FA lediglich durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Schikaneverbot begrenzt werde. Da es die Angabe der Prüfungsanlässe als nachvollziehbar beurteilt hat und ferner davon ausgegangen ist, nicht jeder Prüfungsanlass müsse auch später zu Feststellungen führen, war eine genaue Auseinandersetzung des FG mit dem Vorbringen der Klägerin zu den einzelnen „Prüfungsanlässen“ für das FG nicht entscheidungserheblich.

21 c) Soweit die Klägerin im Hinblick auf ihren erstinstanzlichen Vortrag zum Fehlen eines Prüfungsanlasses für das FA und zur Willkür der Prüfungsanordnung meint, es liege eine Überraschungsentscheidung des FG vor, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zuzustimmen.

22 Eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 und § 76 Abs. 2 FGO) liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter, selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung, nicht rechnen musste. Einer umfassenden Erörterung der für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte bedarf es deshalb im Vorfeld der Entscheidung nicht (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 157/19, Rz 17; vom  - VIII B 46/20, Rz 10).

23 Nach diesem Maßstab musste das FG die Klägerin im Vorfeld der Entscheidung nicht im Einzelnen darauf hinweisen, nach welchen abstrakten Kriterien es beurteilen werde, ob die Anordnung der Außenprüfung durch das FA rechtmäßig und ermessensgerecht erfolgt war. Die sachkundige Klägerin musste sich darauf einstellen, dass das FG mit dem BFH-Urteil in BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579 von einer generellen Zulässigkeit der Anordnung einer Außenprüfung gegenüber der Klägerin als Berufsgeheimnisträgerin ausgehen und die Ermessensentscheidung des FA im Rahmen der ohnehin eingeschränkten gerichtlichen Überprüfungsbefugnis (§ 102 FGO) nur im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Schikaneverbot überprüft werden könnte.

24 5. Der Senat sieht im Hinblick auf die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer Darstellung des Tatbestands und einer weiteren Begründung ab.

25 6. Der Antrag der Klägerin vom , die Akten des FA zu den Steuernummern . und . zum Beschwerdeverfahren beizuziehen, wird abgelehnt.

26 Zwar kommt eine Beiziehung von Akten zu einem Beschwerdeverfahren durch den BFH grundsätzlich in Betracht. Das Revisionsgericht hat im Wege des Freibeweises diejenigen Tatsachen festzustellen, die zur Beurteilung erforderlich sind, ob ein rechtzeitig gerügter Verfahrensmangel vorliegt (BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 2/21, Rz 15; vom  - VIII B 49/21, Rz 9).

27 Nach dem Vorbringen der Klägerin sollen sich aus den beizuziehenden Akten weitere Umstände ergeben, aus denen ersichtlich ist, dass gegenüber der Klägerin seitens des FA zunächst andere Prüfungsanlässe angeführt wurden und das FA die Klägerin trotz Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Anordnung zur Überlassung eines Datenträgers aufgefordert habe, was auf eine schikanöse Anordnung der Prüfung hindeute.

28 Die Beiziehung der genannten Akten zur Ermittlung der von der Klägerin benannten Umstände ist für die Prüfung und Entscheidung über die geltend gemachten Verfahrensfehler durch den Senat jedoch nicht entscheidungserheblich. Es sollen sich aus den beizuziehenden Akten nur Umstände im Hinblick auf das Verhalten des FA ergeben. Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO können aber nur solche des FG sein (, Rz 16). Wie unter 4. dargelegt, hat die Klägerin einen möglichen Verstoß des FG gegen die Beachtenspflicht bereits nicht schlüssig dargelegt. Es liegt angesichts des Gegenstands und Ablaufs des finanzgerichtlichen Verfahrens ferner auch keine Überraschungsentscheidung des FG vor. Angesichts dessen bedurfte es im Hinblick auf das von der Klägerin angekündigte Ergebnis der Aktenbeiziehung einer Beiziehung der Akten nicht.

29 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:B.300623.VIIIB13.22.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2023 S. 239 Nr. 8
AO-StB 2023 S. 240 Nr. 8
BB 2023 S. 1686 Nr. 29
BFH/NV 2023 S. 1101 Nr. 9
DStR-Aktuell 2023 S. 11 Nr. 41
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2023 S. 2533
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2023 S. 2533
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2023 S. 720
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2023 S. 720
JAAAJ-43893