BGH Beschluss v. - VII ZR 113/22

Nichtzulassungsbeschwerde: Gehörsverletzung bei Nichtbeachtung von Parteivortag wegen fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 128 Abs 2 ZPO, § 531 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO, § 544 Abs 9 ZPO

Instanzenzug: OLG Celle Az: 20 U 5/21vorgehend LG Verden Az: 1 O 130/20

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt den Beklagten, einen Tierarzt, nach einer als fehlerhaft beanstandeten Ankaufuntersuchung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Mit Vertrag vom August 2017 erwarb die Klägerin den damals vierjährigen Wallach S.    von J.     B.         zu einem Preis von 22.000 €. Vor Abschluss des Vertrags beauftragte die Klägerin den Beklagten, eine Ankaufuntersuchung des Pferdes durchzuführen. Bestandteil dieser Untersuchung waren unter anderem Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule und des Genicks, die die Klägerin erbat, weil sie zuvor Probleme mit einem Pferd aufgrund von Befunden in diesem Bereich gehabt hatte. Nach der Untersuchung teilte der Beklagte der Klägerin mündlich mit, es hätten sich keine erheblichen Befunde ergeben.

3Nachdem sich ab Herbst 2017 aus Sicht der Klägerin Koordinationsprobleme bei dem Pferd zeigten und es deshalb aus ihrer Sicht als Sportpferd nicht uneingeschränkt nutzbar war, verklagte sie im Juli 2018 J.     B.        auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und Schadensersatz. Dieser verteidigte sich gegen die Klage und verkündete dem Beklagten den Streit, der auf Seiten von J.     B.          dem Rechtsstreit beitrat und vortrug, dass aus tiermedizinischer Sicht im Untersuchungszeitpunkt keine Befunde vorgelegen hätten, die einer reitsportlichen Nutzung des Pferdes entgegenstehen würden.

4Das für den Rechtsstreit der Klägerin gegen J.    B.     zuständige Landgericht K.     erhob über das Vorliegen einer Gangbildstörung des Pferdes Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige erstellte im August 2019 sein Gutachten und kam zu dem Ergebnis, dass sporadisch zu beanstandende Unsicherheiten im Bewegungsablauf des Pferdes eine Folge insuffizienter reiterlicher Ausbildung gewesen seien. In diesem Gutachten nahm der Sachverständige auch zu der röntgenologischen Untersuchung beim Kauf Stellung.

5Die Feststellungen des Sachverständigen zu der röntgenologischen Untersuchung beim Kauf nahm die Klägerin zum Anlass, im April 2020 die Klage über J.     B.        hinaus auf den Beklagten zu erweitern. Unter Bezugnahme auf die Röntgenaufnahmen trug die Klägerin vor, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie über die von dem Gerichtssachverständigen neu benannten Befunde aufzuklären. In diesem Fall hätte sie den Vertrag mit J.     B.         nicht geschlossen. Das begründe eine Schadensersatzverpflichtung des Beklagten. Der Beklagte erhob die Rüge der örtlichen Zuständigkeit. Das Landgericht K.   trennte daraufhin das Verfahren gegen den Beklagten von dem Verfahren gegen J.    B.         ab, erklärte sich für unzuständig und verwies das Verfahren gegen den Beklagten an das Landgericht V.    . Die Klage gegen J.    B.        wies das Landgericht K.   ab. Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wurden nicht eingelegt.

6Das Landgericht V.     hat, nachdem die Parteien auf Anfrage des Gerichts mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden gewesen sind, mit Beschluss eine Erklärungsfrist bis zum gesetzt. Hinweise hat das Landgericht V.     nicht erteilt. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat im Rahmen der Erklärungsfrist auf sein gesamtes Verteidigungsvorbringen als Streithelfer vor dem Landgericht K.   Bezug genommen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Rahmen der Erklärungsfrist darauf verwiesen, dass eine Klageerwiderung nicht vorliege.

7Das Landgericht V.    hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Der Klägerin stünde kein Schadensersatzanspruch zu. Auf der Grundlage ihres Vortrags sei schon kein Schaden feststellbar. Nach der gutachterlichen Einschätzung des Sachverständigen gehe dieser nicht davon aus, dass die wenig deutlich ausgeprägte Symptomatik die Eignung des Pferdes als Dressurpferd beeinträchtige. Deshalb sei nicht festzustellen, dass die Klägerin einen für sie nachteiligen Vertrag geschlossen habe. Es spreche alles dafür, dass das Pferd nicht richtig ausgebildet worden sei, wofür der Beklagte nicht verantwortlich gemacht werden könne. Darüber hinaus sei weder ersichtlich noch von der Klägerin hinreichend vorgetragen, dass die Ergebnisse der Ankaufuntersuchung in irgendeiner Weise mangelhaft gewesen sein könnten. Soweit sie die Befundung des Gerichtssachverständigen aufgreife, trage sie nicht schlüssig vor, dass der Gerichtsgutachter eine mangelhafte Eigenschaft des Pferdes festgestellt haben könnte.

8Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 44.886,81 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er seinen Klageabweisungsantrag voll umfänglich weiterverfolgt.

II.

9Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

101. Das Berufungsgericht führt, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

11Bei einer Ankaufuntersuchung eines Pferdes sei der Tierarzt nicht nur verpflichtet, die Untersuchung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er habe seinem Auftraggeber auch deren Ergebnis, insbesondere Auffälligkeiten des Tieres, mitzuteilen. Den so skizzierten Verhaltensanforderungen sei der Beklagte in Bezug auf den Röntgenbefund in mehrfacher Weise nicht gerecht geworden.

12Die betreffenden Pflichtverletzungen seien für die Kaufentscheidung der Klägerin ursächlich gewesen. Die Klägerin habe schon in ihrem Klageerweiterungsschriftsatz dargetan, dass sie den Vertrag mit J.    B.         nicht geschlossen hätte, wenn sie um die vom Sachverständigen festgestellten Befunde gewusst hätte. Dem sei der Beklagte erstinstanzlich nicht entgegengetreten, sondern habe die Kausalität erst in der Berufungserwiderung in Abrede gestellt. Er sei deshalb mit seinem Vortrag präkludiert. Ein Zulassungsgrund nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO sei weder dargetan noch ersichtlich. Der Beklagte hätte die Kausalität nur einfach bestreiten müssen, was ihm auch im Rahmen des Verfahrens vor dem Landgericht V.     ohne weiteres möglich gewesen wäre.

132. Die Verurteilung des Beklagten ist, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, unter Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erfolgt.

14a) Bleibt ein Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie derjenigen des § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ( Rn. 15 m.w.N., BauR 2019, 1207 = NZBau 2019, 365).

15b) Ein derartiger Fall liegt vor. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in offenkundig fehlerhafter Anwendung von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO das Vorbringen des Beklagten zur Kausalität zwischen einer Pflichtverletzung im Rahmen der Ankaufuntersuchung und dem Kauf des Pferdes in der Berufungserwiderung mit der Folge nicht berücksichtigt, dass es das Vorbringen der Klägerin zur Kausalität als unstreitig angesehen hat.

16aa) Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs findet diese Vorschrift aber nur unter der ungeschriebenen Voraussetzung Anwendung, dass die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, (mit-)ursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert hat ( Rn. 19, MDR 2012, 487; Beschluss vom - III ZR 114/06 Rn. 7, MDR 2007, 971). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Partei durch seine Prozessleitung oder seine erkennbare rechtliche Beurteilung des Streitverhältnisses davon abgehalten hat, zu bestimmten Gesichtspunkten vorzutragen. So kann das Gericht eine Partei etwa durch die Erteilung von Hinweisen veranlassen, in erster Instanz von weiterem Vorbringen abzusehen. Das erstinstanzliche Gericht kann aber auch durch das Unterlassen von Hinweisen den Eindruck erwecken, der bisherige Parteivortrag sei ausreichend ( Rn. 20, MDR 2012, 487).

17bb) Für das Landgericht V.     war allein entscheidungserheblich, ob das Pferd über Mängel verfügte, die seine Eignung als Dressurpferd beeinträchtigten. Damit hat es ersichtlich auf Umstände abgestellt, die für auf dem Kaufvertrag zwischen der Klägerin und J.    B.         beruhende Mängelansprüche von Bedeutung waren. Demgegenüber war es für das Landgericht irrelevant, ob der Beklagte jenseits von kaufvertraglich relevanten Mängeln eine Pflicht aus der Ankaufuntersuchung verletzt hat und diese Pflichtverletzung für den Vertragsschluss der Klägerin mit J.    B.         kausal geworden ist. Der in der Berufungsinstanz gehaltene Vortrag des Beklagten zur Kausalität betraf deshalb einen Gesichtspunkt, der für das Landgericht V.     unerheblich war.

18Darüber hinaus hat das Landgericht V.     durch seine Prozessleitung den Eindruck erweckt, der bisherige Parteivortrag des Beklagten sei ausreichend. Nach Verweisung des Rechtsstreits hat das Landgericht V.     keine Frist zur Klageerwiderung gesetzt, sondern unmittelbar das Einverständnis der Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren eingeholt. Nachdem die Parteien ihr Einverständnis erklärt hatten, hat das Landgericht V.     - ohne Hinweise zu erteilen - nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO den Zeitpunkt bestimmt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten. Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zum Nichtvorliegen einer Klageerwiderung haben das Landgericht V.     nicht veranlasst, prozessleitende Maßnahmen zu ergreifen. In diesem Gesamtverhalten des Landgerichts V.     kommt zum Ausdruck, dass es den Rechtsstreit für ausgeschrieben angesehen hat, insbesondere einen weitergehenden Vortrag des Beklagten für nicht erforderlich hielt. In Anbetracht dieses Verfahrensstandes musste der Beklagte nicht davon ausgehen, zu einer Kausalität einer möglichen Pflichtverletzung im Hinblick auf den Abschluss des Kaufvertrages vortragen zu müssen. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, dass das Verfahren zu seinen Gunsten ausgeschrieben war und die Klage abgewiesen werden würde - wie es auch tatsächlich geschehen ist.

19c) Das Berufungsurteil beruht, soweit es den Beklagten zur Zahlung von 44.886,81 € nebst Zinsen verurteilt hat, auf der Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen hätte.

203. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich mit den weiteren Rügen der Beschwerde auseinanderzusetzen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270923BVIIZR113.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-51017