BGH Urteil v. - VIa ZR 318/22

Instanzenzug: Az: 5 U 1856/21vorgehend LG Regensburg Az: 72 O 501/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von der Beklagten ein von ihr hergestelltes gebrauchtes Wohnmobil Mercedes-Benz Marco Polo 220 D, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine während des Warmlaufs des Motors zum Einsatz kommende Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).

3Der Kläger hat, gestützt auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs, zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen begehrt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den Berufung eingelegt. Mit am selben Tag beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom hat er darum gebeten, "die heute ablaufende Frist zur Berufungsbegründung um vier Wochen, d. h. bis einschließlich Dienstag, den " zu verlängern. Der Vorsitzende des Berufungssenats hat die Berufungsbegründungsfrist "antragsgemäß verlängert bis ". Der Kläger hat im Einvernehmen mit der Beklagten am die Verlängerung der "heute ablaufende[n] Frist zur Berufungsbegründung nochmals um vier Wochen, d. h. bis einschließlich Dienstag, den " und am die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um vier Wochen bis zum beantragt. Beide Fristverlängerungen sind gewährt worden. Mit am eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger sodann die Berufung begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg.

A.

6Die Berufung des Klägers war zulässig, was als Prozessfortsetzungsbedingung im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. , IHR 2023, 85 Rn. 12; Urteil vom - VIa ZR 510/22, zVb; Beschluss vom - VIII ZR 184/21, juris Rn. 11). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat der Kläger sein Rechtsmittel gemäß § 520 Abs. 2 ZPO rechtzeitig begründet. Die vom Berufungsgericht erstmals verlängerte Berufungsbegründungsfrist war im Zeitpunkt des weiteren Fristverlängerungsantrags des Klägers noch nicht abgelaufen.

7Der - der Auslegung zugängliche (vgl. , NJW-RR 2020, 313 Rn. 17) - erste Fristverlängerungsantrag des Klägers war unmissverständlich darauf gerichtet, dass die am - einem Dienstag - ablaufende Berufungsbegründungsfrist bis zum Dienstag vier Wochen später verlängert werden möge. Soweit der Kläger den danach maßgeblichen Dienstag nicht auf den , sondern fälschlich auf den datiert hat, handelte es sich um einen offenkundigen Schreibfehler. Die Verfügung des Vorsitzenden des Berufungssenats ist nach ihrem maßgeblichen objektiven Inhalt (vgl. , NJW-RR 2008, 1162 Rn. 2; Beschluss vom - VI ZB 6/13, NJW 2013, 2821 Rn. 7; Beschluss vom , aaO, Rn. 19) nicht anders zu verstehen. Mit der "antragsgemäßen" Verlängerung hat der Vorsitzende den Inhalt des Antrags des Klägers zum Inhalt der Fristverlängerung gemacht und dabei lediglich das fehlerhafte Datum des Fristablaufs übernommen (vgl. aaO). Dementsprechend sind der Kläger und das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der weitere Fristverlängerungsantrag vom fristgerecht gestellt worden ist.

B.

8Der angefochtene Beschluss hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.

I.

9Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

10Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Das Inverkehrbringen des mit dem Thermofenster und der KSR ausgestatteten Fahrzeugs begründe eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers nicht. Das gelte auch dann, wenn in den Funktionen unzulässige Abschalteinrichtungen zu sehen sein sollten. Eine fahrlässige Verwendung solcher Einrichtungen führe nicht zu einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB, weil die möglicherweise verletzte Vorschrift des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kein Schutzgesetz darstelle.

II.

11Diese Beurteilung ist in maßgeblichen Punkten von Rechtsfehlern beeinflusst.

121. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

132. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht in Erwägung gezogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

14Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

15Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

16Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:111223UVIAZR318.22.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-57154