BGH Urteil v. - X ZR 127/21

Patentnichtigkeitsklage gegen ein Patent betreffend eine Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien und dessen Verwendung - Trägerelement

Leitsatz

Trägerelement

1. Funktions- und Zweckangaben definieren den durch das Patent geschützten Gegenstand regelmäßig lediglich dahin, dass er geeignet sein muss, für die im Patentanspruch genannte Funktion und den dort genannten Zweck verwendet zu werden (Bestätigung von , GRUR 2023, 246 Rn. 29 - Verbindungsleitung).

2. Eine Entgegenhaltung, die für einen bestimmten Parameter einen Mindestwert von 1,0 µm benennt und Ausführungsbeispiele im Bereich bis zu 4,4 µm schildert, offenbart nicht ohne weiteres die Lehre, den Mindestwert auf 10 µm festzulegen.

Gesetze: Art 54 Abs 2 EuPatÜbk, Art 69 Abs 1 EuPatÜbk, § 3 PatG, § 14 PatG

Instanzenzug: Az: 3 Ni 27/19 (EP) Urteil

Tatbestand

1Der Beklagte ist Inhaber des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 677 974 (Streitpatents), welches am unter Inanspruchnahme der Priorität eines deutschen Gebrauchsmusters vom angemeldet wurde und ein Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien betrifft.

2Patentanspruch 1, auf den 24 weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

Mehrschichtiges Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien umfassend

a) eine Folie (1) mit einer Oberfläche (2), welche eine Rautiefe von mindestens 10 µm aufweist,

b) einer nicht-elastischen Schicht (3) und

c) einer Haftvermittlerschicht (4).

3Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Der Beklagte hat das Streitpatent mit einem Hauptantrag und zwei Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.

4Das Patentgericht hat das Patent für nichtig erklärt, soweit es über die mit dem Hauptantrag verteidigte Fassung hinausgeht, und die weitergehende Klage abgewiesen.

5Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Der Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt das Patent hilfsweise mit ihren erstinstanzlichen Hilfsanträgen.

Gründe

6Die zulässige Berufung ist nur hinsichtlich der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung des Streitpatents begründet.

7I. Das Streitpatent betrifft ein Trägerelement für die Herstellung von Werbematerialien und dessen Verwendung.

81. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift wurden Werbematerialien auf frei zugänglichen Untergrundbereichen wie etwa Wegen, Straßen oder dergleichen zum Schutz vor Abrieb mit einer Laminatstruktur versehen, bei der das Werbemotiv von einer Schutzschicht abgedeckt ist. Die Herstellung solcher Werbematerialien sei mit hohen Kosten verbunden (Abs. 2).

92. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, Trägerelemente für Werbematerialien bereit zu stellen, die eine hohe Abriebbeständigkeit haben, unter den üblichen Umwelteinflüssen haltbar sind und ohne Beschädigung des Untergrundes entfernt werden können.

103. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 in der in erster Linie verteidigten Fassung eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben):

1. Mehrschichtiges Trägerelement

1.1 für die Herstellung von Werbematerialien, umfassend

2. eine Folie (1), deren Oberfläche (2)

2.1 eine Rautiefe von mindestens 10 µm aufweist und

3. eine nicht-elastische Schicht (3) und

4. eine Haftvermittlerschicht (4).

114. Einige Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.

12a) Die in Merkmal 3 vorgesehene nicht-elastische Schicht muss nach den hierauf bezogenen Ausführungen in der Beschreibung so ausgestaltet sein, dass beim Aufbringen des Trägerelements auf einen Untergrund eine Anpassung an Unebenheiten erreicht wird und der Gesamtverbund des Trägerelements in der an diese Untergrundform angepassten Ausgestaltung verbleibt (Abs. 15).

13b) Die in Merkmal 2.1 vorgegebene Rautiefe von mindestens 10 µm ermöglicht nach der Beschreibung eine Verzahnung der Oberfläche mit der aufgebrachten Farbschicht.

14aa) Ob als Rautiefe in diesem Sinne ein Maximalwert oder ein Durchschnittswert anzusehen ist und wie das Maximum bzw. der Durchschnitt im Einzelnen zu bestimmen sind, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.

15Nach den Feststellungen des Patentgerichts bezeichnet die Rautiefe fachüblicherweise die Differenz aus maximalem und minimalem Wert eines (Oberflächen-)Profils bezogen auf eine definierte (Gesamt-)Messstrecke. Die Bestimmung dieses Werts hängt danach von der Festlegung der Messstrecke ab. Insoweit enthält Patentanspruch 1 keine Vorgaben.

16Nach den Feststellungen des Patentgerichts ergibt sich aus dem Begriff "Rautiefe" nicht zwingend, wie viele Messungen durchgeführt und ob die Ergebnisse mehrerer Einzelmessungen gemittelt werden. Auch insoweit enthält Patentanspruch 1 keine Vorgaben.

17Welche Schlussfolgerungen sich hieraus für die Auslegung von Merkmal 2.1 im Einzelnen ergeben, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Für die Beurteilung des Rechtsbestands genügt die Schlussfolgerung, dass zur Verwirklichung von Merkmal 2.1 jedenfalls erforderlich ist, dass die Differenz zwischen den höchsten und den niedrigsten Bereichen zumindest über einen erheblichen Teil der Folienoberfläche hinweg den Mindestwert erreicht oder überschreitet.

18bb) Durch die vorgegebene Rautiefe wird nach der Beschreibung des Streitpatents die Abriebfestigkeit entscheidend erhöht (Abs. 12).

19Dadurch lasse sich eine Beständigkeit insbesondere gegen Feuchtigkeit, Licht, Temperatur, Chemikalien und chemische Einflüsse erreichen, ohne dass eine zusätzliche Behandlung der Oberfläche erforderlich ist (Abs. 14). Darüber hinaus komme es zu einer Erhöhung der Farbbrillanz (Abs. 12).

20cc) Als bevorzugt gibt die Beschreibung mehrere Bereiche zwischen 50 und 200 µm an. Als höchst bevorzugt wird der Bereich von 90 bis 110 µm bezeichnet. Durch die genannte Rautiefe ergebe sich, dass die Oberfläche trittfest und rutschsicher sei (Abs. 10).

21Dass diese Eigenschaften schon bei dem in Patentanspruch 1 vorgesehenen Minimalwert von 10 µm gegeben sind, lässt sich der Patentschrift nicht entnehmen.

22dd) Mit welchen Mitteln die erforderliche Rauigkeit erzielt wird, ist in Patentanspruch 1 nicht vorgegeben.

23c) Die in Merkmal 2.2 vorgegebene Zweckbestimmung erfordert, dass die Folie in der dort definierten Weise zum Aufbringen von Farbschichten geeignet ist.

24aa) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist damit nicht ausgeschlossen, dass das Trägerelement weitere Schichten aufweist, die zum Aufbringen von Farbschichten geeignet sind.

25(1) Nach der Beschreibung des Streitpatents eröffnet die in Merkmal 2.1 vorgegebene Rautiefe zwar die Möglichkeit, eine Farbschicht auf die Oberfläche der Folie aufzubringen, die ohne zusätzliche Schicht hinreichend gegen äußere Einflüsse beständig ist. Auch wenn von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, schließt dies aber nicht zwingend aus, andere Schichten des Trägerelements ebenfalls so auszugestalten, dass auf sie eine Farbschicht aufgebracht werden kann.

26(2) Ob auf die Oberfläche der Folie oder an anderen Stellen tatsächlich eine Farbschicht aufgebracht wird, ist nach der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 unerheblich, weil dieser Anspruch nicht nur die Verwendung eines Trägerelements zu dem genannten Zweck schützt, sondern ein Erzeugnis, das für eine solche Verwendung geeignet ist.

27Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats definieren Funktions- und Zweckangaben den durch das Patent geschützten Gegenstand regelmäßig lediglich dahin, dass er geeignet sein muss, für die im Patentanspruch genannte Funktion und den dort genannten Zweck verwendet zu werden (vgl. nur , GRUR 2023, 246 Rn. 29 - Verbindungsleitung).

28Im Streitfall reicht es für die Verwirklichung von Merkmal 2.2 danach aus, dass die Oberfläche der Folie zum Aufbringen der näher bezeichneten Farbschichten geeignet ist. Ob das Trägerelement in dieser Weise verwendet wird, ist demgegenüber unerheblich.

29bb) Wie die Berufung zu Recht geltend macht, sieht Patentanspruch 1 als zwingend erforderliches Mittel zum Erreichen der in Merkmal 2.2 vorgesehenen Eignung nur die in Merkmale 2.1 definierte Rautiefe vor.

30Nach der Beschreibung des Streitpatents hängt die Beständigkeit gegen äußere Einflüsse zwar auch von anderen Faktoren ab, insbesondere von der Oberflächenenergie der Folie (Abs. 13 f.) und von der Härtbarkeit der Farbe (Abs. 27). Patentanspruch 1 enthält aber keine Vorgaben in Bezug auf diese Parameter und gibt auch nicht vor, für welche Einsatzzwecke das bedruckte Trägerelement geeignet sein und welchen äußeren Einflüssen es standhalten muss. Insbesondere ist nicht vorgegeben, dass die Farbschicht so beständig sein muss, dass das Trägerelement dauerhaft als Werbematerial auf Straßen, Gehwegen und dergleichen eingesetzt werden kann.

31Wie bereits dargelegt wurde, hat Merkmal 3 zwar die Funktion, einen solchen Einsatz zu ermöglichen. Hinsichtlich der Folienoberfläche und der Farbschicht enthält Patentanspruch 1 aber keine vergleichbaren Vorgaben.

32Daraus ergibt sich, dass es zur Verwirklichung von Merkmal 2.2 ausreicht, wenn die Eigenschaften der Oberfläche, insbesondere ihre Rauigkeit und Oberflächenenergie, es ermöglichen, zumindest bestimmte Farbschichten so aufzubringen, dass sie für einige Zeit auf der Oberfläche haften bleiben.

33d) Zutreffend hat das Patentgericht angenommen, dass Patentanspruch 1 nicht ausschließt, dass neben den in den Merkmalen 2, 3 und 4 vorgesehenen Schichten weitere Schichten vorhanden sind.

34Optional zulässig ist danach auch eine Deckschicht über der auf die raue Folienoberfläche aufgebrachten Farbschicht. Wie bereits dargelegt wurde, sieht Merkmal 2.2 lediglich vor, dass die Folienoberfläche so ausgestaltet ist, dass eine solche Deckschicht nicht zwingend erforderlich ist, nicht aber, dass von dieser Möglichkeit zwingend Gebrauch gemacht wird.

35II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

36Aus Sicht des Fachmanns, eines Diplom-Ingenieurs oder Masters of Engineering der Fachrichtung Verfahrenstechnik oder Materialwissenschaften mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung und Anwendung von Klebefolien und Laminatprodukten, beschreibe Merkmal 2.2 nicht nur die theoretische Möglichkeit zur Aufbringung einer Farbschicht auf die raue Oberfläche der Folie. Vielmehr werde damit der Ort des Farbauftrags bestimmt. Zudem müsse das Trägerelement so ausgestaltet sein, dass keine weitere transparente Folienschicht über der Farbschicht aufgetragen werde.

37Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei nicht unzulässig erweitert. Die bloße aus der Beschreibung ableitbare Eignung zum Bedrucken sei unabhängig von den hierzu zusätzlich zu treffenden Maßnahmen. Ob das Weglassen der Folie zu Qualitätseinschränkungen des fertigen Produkts führen könne, sei patentrechtlich unerheblich, weil hierauf das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes nicht gestützt werden könne.

38Der mit dem Hauptantrag verteidigte Gegenstand sei in der japanischen Offenlegungsschrift 2001-317171 (D1, deutsche Übersetzung D1b) nicht vollständig offenbart. D1 zeige zwar eine Oberfläche mit einer rutschhemmenden Harzschicht (5). Diese werde aber nicht bedruckt. Als Ort für eine Anzeigeschicht offenbare D1 ausschließlich den unterhalb der rutschhemmenden Schicht angeordneten Harzfilm (4). Eine Rautiefe der Oberfläche von mindestens 10 µm sei in D1 ebenfalls nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. In Bezug auf zwei in den Figuren 4 und 5 dargestellte Ausführungsbeispiele würden zwar unter Bezugnahme auf einen japanischen Industriestandard bestimmte Partikelgrößen angegeben. Worum es sich bei diesen Angaben handle, werde der Fachmann aber erst aufgrund weiterer Überlegungen ermitteln müssen.

39Der mit dem Hauptantrag verteidigte Gegenstand sei auch in der Übersetzung des europäischen Patents 1 060 088 (DE 699 02 236 T2, D2) nicht vollständig offenbart. Der Aufbau des in der D2 beschriebenen graphischen Artikels entspreche einem herkömmlichen mehrschichtigen Trägerelement, bei dem über einer Bildschicht (24) eine transparente Bildschutzkomponente (30) aufgetragen werde. Nicht beschrieben sei die Eignung der Oberfläche der Bildschutzschicht (32) bzw. Binderschicht (58) zum Aufbringen weiterer Schichten, insbesondere zum Aufbringen von Farbschichten gemäß Merkmal 2.2.

40Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Der Fachmann, der das in D1 gelehrte rutschhemmende Band zur Verfügung stellen möchte, werde sich zwar Gedanken hinsichtlich der geeigneten Oberflächenrauigkeit machen, welche streitpatentgemäß durch die Rautiefe charakterisiert werde. Die in D1 enthaltenen Angaben auf der Grundlage des japanischen Industriestandards deuteten auf Partikelgrößen im Bereich zwischen 106 µm und 1700 µm, so dass eine Rautiefe von mindestens 10 µm nahegelegen haben möge. Dem Fachmann werde aber weder aus D1 noch aus D2 eine Anregung gegeben, die dortigen rauen Oberflächen zum Aufbringen von Farbschichten zur Ausgestaltung eines Werbemotivs ohne zusätzliche transparente Folienschicht vorzusehen.

41Auch die deutsche Offenlegungsschrift 41 35 097 (D3) rege den Fachmann ausgehend von D1 oder D2 nicht an, die raue Oberfläche zu bedrucken. D3, die ebenfalls mehrschichtige Folien offenbare, nenne zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Bedruckbarkeit auch einer rauen Oberfläche. Diese Lehre beinhalte aber nur die Selbstverständlichkeit, dass auch eine raue Oberfläche grundsätzlich bedruckbar sei, und führe ergänzend aus, überraschenderweise sei gefunden worden, dass die - durch Coronabehandlung zudem verbesserte - Bedruckbarkeit auch nach mehrmonatiger Lagerung nur unerheblich abfalle. Anders als vom Streitpatent gefordert, gehe diese Eigenschaft aber mit dem in D3 geforderten Schichtaufbau und der Wahl spezieller Materialien einher. Darüber hinaus lehre D3, dass Rauigkeiten im Bereich von 3,4 bis 4,4 µm ausreichend seien, um die dort gewünschten Eigenschaften einer ausreichend matten und trüben Mehrschichtfolie zu erzielen. An keiner Stelle der D3 entnehme der Fachmann zudem die Information, dass die Rauigkeit hinsichtlich der Bedruckbarkeit eine entscheidende Rolle spiele.

42Dass die Erkenntnis, dass auch raue Oberflächen grundsätzlich bedruckbar sind, zum allgemeinen Fachwissen zähle, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die generelle Eignung eines zum allgemeinen Fachwissen zählenden Lösungsmittels könne nur dann als Veranlassung zur ihrer Heranziehung genügen, wenn für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar sei, dass eine technische Ausgangslage bestehe, in der sich der Einsatz des betreffenden Lösungsmittels als objektiv zweckmäßig darstelle. Daran fehle es im Streitfall, weil die Werbebotschaften ausgehend von D1 oder D2 auf einer Bildschicht mit einer darauf aufgebrachten Schutzschicht aufgedruckt würden.

43Ein Anlass ergebe sich auch nicht daraus, dass die obere Schicht der D1 semitransparent oder intransparent sein könne. D1 liefere keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine Werbebotschaft auch in diesem Fall aufgebracht werden solle. Vielmehr lehre D1 ausschließlich, dass das Aufbringen einer Werbebotschaft nur im Fall einer transparenten Oberflächenschicht möglich sei.

44III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

451. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der mit dem Hauptantrag verteidigte Gegenstand in D1 vollständig offenbart.

46a) D1 beschreibt als Stand der Technik Anti-Rutschbänder zur Anbringung auf der Bodenfläche eines Gebäudes, auf einer Treppe oder dergleichen.

47Eine im Stand der Technik bekannte Anti-Rutschfolie bestehe unter anderem aus einer Anzeigeschicht (12), die durch Auftragen von Farbe auf die Oberseite der Basisfolie (10) gebildet werde, und einer Oberflächenschicht (20), die eine große Anzahl rutschhemmender Partikel (24) enthalte (Abs. 2). Von Nachteil sei, dass die Anzeigeschicht durch den verwendeten Klebstoff eingeschränkt werde, weil die rutschhemmenden Partikel (24) dadurch direkt auf der Anzeigeschicht hafteten. Ferner sei diese Anti-Rutschfolie aufgrund ihrer komplizierten Schichtstruktur zu hart und deshalb nicht in der Lage, Unebenheiten auszugleichen. Zudem sei die Herstellung kompliziert, zeitaufwendig und kostspielig (Abs. 3).

48Bei einer anderen Anti-Rutschfolie mit vereinfachter Struktur werde eine rutschhemmende Harzschicht (45) mit einer unebenen Oberseite auf einem Grundmaterial (42) aus Aluminiumfolie gebildet. Um den rutschhemmenden Effekt weiter zu verstärken, würden auf der rutschhemmenden Harzschicht (45) rutschhemmende Partikel (47) verteilt. Aufgrund der Formbarkeit der als Grundmaterial verwendeten Aluminiumfolie könnten Unebenheiten ausreichend ausgeglichen werden (Abs. 4). Die Aluminiumfolie könne aber leicht knittern, brechen oder gedehnt werden (Abs. 5).

49b) Zur Verbesserung schlägt D1 ein Anti-Rutschband vor, dessen Aufbau in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 3 schematisch dargestellt ist.

50Das dargestellte Band umfasst einen Basisfilm (1), eine Harzschicht (5) mit einer rutschhemmenden Funktion und eine Klebstoffschicht (6). Der Basisfilm (1) besteht aus einem Verbundmaterial aus einem Harzfilm (4), einer Metallfolie (2) und einer dazwischenliegenden Klebstoffschicht (3) (Abs. 8).

51Zusätzlich könne ein Effekt als Anzeigeschicht erzielt werden, solange die rutschhemmende Harzschicht im Wesentlichen transparent sei und der Zustand des Harzfilms durch die Schicht beobachtet werden könne, der Harzfilm mit einer geeigneten Farbe gefärbt werde oder auf der Oberfläche ein geeigneter Slogan oder ein geeignetes Muster oder dergleichen aufgedruckt werde (Abs. 10 f.).

52Zur weiteren Verbesserung der Rutschhemmung könnten auf der Harzschicht (5) rutschhemmende Teilchen (7) verteilt werden. Diese könnten auf der Harzschicht aufliegen oder in sie integriert sein, wie dies in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 4 und 5 dargestellt ist (Abs. 25).

53Wenn die rutschhemmenden Partikel gemäß den JIS-Standards dargestellt würden, hätten sie vorzugsweise eine Partikelgröße im Bereich von #12 bis #120. Wenn die Partikelgröße kleiner als #120 sei, werde es schwierig, den rutschhemmenden Effekt zu erzielen. Wenn sie größer als #12 sei, würden die Partikel schwerer haften (Abs. 26).

54c) Damit sind die Merkmale 1, 1.1, 2, 3 und 4 offenbart.

55d) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist auch das Merkmal 2.1 offenbart.

56Wie das Patentgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, erschließen sich die Angaben zu den Partikelgrößen (#12 bis #120) allerdings nur durch Rückgriff auf einen japanischen Industriestandard. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts erfordert die Heranziehung dieses Standards aber keine ergänzenden fachlichen Überlegungen.

57Der einschlägige Standard ist in D1 ausdrücklich benannt. Die darin enthaltenen Definitionen der Partikelgrößen im Bereich von #12 bis #120 können folglich ohne Überlegung durch bloßes Nachschlagen ermittelt werden. Damit gehören sie zum Offenbarungsgehalt von D1.

58Wie auch das Patentgericht im Zusammenhang mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit ausführt, ergibt sich aus diesen Größenvorgaben, dass eine Anordnung, wie sie in den Figuren 4 und 5 dargestellt ist, eine Rautiefe von deutlich mehr als 10 µm aufweist.

59e) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts offenbart D1 auch das Merkmal 2.2.

60Wie das Patentgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, enthält D1 zwar keine Ausführungen zu der Frage, ob die rutschhemmende Harzschicht (5) bedruckt werden kann.

61Wie bereits oben ausgeführt wurde, reicht zur Verwirklichung von Merkmal 2.2 jedoch eine Rautiefe mit dem in Merkmal 2.1 definierten Mindestwert und eine Oberflächenbeschaffenheit, die zumindest den Auftrag bestimmter Farbschichten ermöglicht. Diese Möglichkeit ist in D1 zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Sie ist im Kontext von D1 auch unerheblich, weil der Auftrag von Farbe dort für eine weiter unten angeordnete Schicht vorgesehen ist. Für eine hinreichende Offenbarung von Merkmal 2.2 reicht aber aus, dass Harzschichten grundsätzlich für einen Farbauftrag geeignet sind und D1 keine Hinweise zu entnehmen sind, dass für die Harzschicht (5) etwas anderes gilt. Besondere Anforderungen an die Dauerhaftigkeit oder Widerstandsfähigkeit der Farbbeschichtung sieht Merkmal 2.2, wie bereits dargelegt wurde, nicht vor.

62Dass D1 den Auftrag von Farbe unterhalb der Harzschicht (5) vorsieht, ist unerheblich, weil die mit dem Hauptantrag verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 eine solche Ausgestaltung aus den oben dargestellten Gründen nicht ausschließt.

632. Der mit dem Hauptantrag verteidigte Gegenstand ist auch in D2 vollständig offenbart.

64a) D2 betrifft ein Display-, Informations- oder Werbesystem mit einem mehrlagigen graphischen Artikel, der auf eine Außenbereichsfläche wie Beton, Asphalt oder dergleichen aufgebracht wird (S. 1 Z. 10-16).

65D2 beschreibt als Stand der Technik unter anderem Bodengraphiken für die Markenwerbung im Innenbereich (S. 3/4). Diese bestünden aus einem bebilderbaren Basisfilm, welcher klar und gefärbt sein könne, einer auf den Basisfilm aufgebrachten Bildschicht und einem darüber liegenden Schutzfilm. Auf der anderen Seite des Basisfilms sei ein Kleber aufgebracht (S. 4 Z. 11-31). Solche Graphiken hätten sich für den Einsatz im Außenbereich als nicht geeignet erwiesen (S. 4/5).

66b) Zur Verbesserung schlägt D2 vor, die Reibungseigenschaften der Bildschutzschicht zu modifizieren, und zwar durch Prägung oder Einbau abrasiver Materialien in einem Muster, welches eine Griffigkeit für Fußgängerverkehr bereitstelle, aber nicht wesentlich den Informationsfluss der darunterliegenden Bildschicht verdecke (S. 6/7).

67Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 dargestellt.

68Die Bildschutzkomponente (30) umfasse eine Polymerfilmschicht (32), die beständig gegen Witterung, Abrieb und chemische Aussetzung sei (S. 15 Z. 15-17). Diese sei mittels einer Kleberschicht (38) mit der Bildschicht (24) oder freiliegenden Abschnitten der Basisschicht (16) verklebt (S. 15 Z. 26-29).

69Die Oberfläche (36) der Bildschutzschicht (32) müsse eine griffige Oberfläche für Fußgänger oder leichten Fahrzeugverkehr bereitstellen. Hierzu sei es wichtig, die Reibungseigenschaften zumindest eines Teils dieser Oberfläche zu modifizieren (S. 16 Z. 9-16). Eine geeignete Ausgestaltung ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 dargestellt.

70Die Oberfläche (36) ist mit mindestens einer Schicht (52) aus einer im wesentlichen klaren Binderzusammensetzung beschichtet (S. 17 Z. 29 bis S. 18 Z. 6). In der Binderschicht (52) sind kleine abrasive Partikel (54) eingebettet und an der freiliegenden Oberfläche (53) festgeklebt (S. 18 Z. 8-16). Größe, Form und Zusammensetzung der abrasiven Materialien (54) könnten so gewählt werden, dass sie den gewünschten Grad an Griffigkeit auf der Oberfläche bereitstellen. Im Allgemeinen sollten die Partikel eine Größe von etwa 10 bis etwa 1000 µm aufweisen (S. 18 Z. 30 bis S. 19 Z. 1).

71c) Damit sind die Merkmale 1, 1.1, 2, 3 und 4 offenbart.

72d) Offenbart ist auch Merkmal 2.1.

73Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts ergibt sich bei der in Figur 2 dargestellten Anordnung und der angegebenen Partikelgröße eine Rautiefe von mindestens 10 µm.

74e) Ebenfalls offenbart ist Merkmal 2.2.

75Wie bereits oben dargelegt wurde, reichen zur Offenbarung dieses Merkmals die Offenbarung der in Merkmal 2.1 definierten Rautiefe und die grundsätzliche Eignung des Materials zum Auftrag zumindest bestimmter Farbschichten. Diese Voraussetzung ist auch bei D2 erfüllt.

76IV. Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).

77Der mit Hilfsantrag I verteidigte Gegenstand erweist sich als patentfähig.

781. Nach Hilfsantrag I soll die erteilte Fassung von Patentanspruch 1 um folgendes Merkmal ergänzt werden:

5. Auf die Oberfläche (2) ist eine Farbschicht (6) zur Ausgestaltung eines Werbemotivs aufgebracht.

792. Dieses Merkmal ist in D1 und D2 nicht offenbart.

80Wie bereits oben dargelegt wurde, ist die raue Oberfläche der in D1 und D2 offenbarten Trägerelemente zwar zum Bedrucken mit einem Werbemotiv geeignet. D1 und D2 offenbaren aber keine Elemente, bei der eine solche Bedruckung vorhanden ist.

813. Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Bedrucken der rauen Oberfläche ausgehend von D1 und D2 nicht nahegelegt war.

82a) Weder aus D1 noch aus D2 ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die angegebene Rautiefe nicht nur die Rutschfestigkeit gewährleistet, sondern auch die Möglichkeit zum Auftrag einer widerstandsfähigen Farbschicht bietet.

83Dass diese Möglichkeit jedenfalls dann objektiv gegeben ist, wenn keine konkreten Anforderungen an die Haltbarkeit der Farbschicht gestellt werden, reicht für eine diesbezügliche Anregung nicht aus. Ausgehend von D1 und D2 ergab sich vielmehr der Eindruck, dass die Farbschicht unterhalb der rutschfesten Schicht angeordnet werden muss, um sie hinreichend zu schützen.

84b) Durch D3 ist der mit Hilfsantrag I verteidigte Gegenstand weder offenbart noch nahegelegt.

85aa) D3 betrifft eine Mehrschichtfolie mit einer Basisschicht aus einem Polypropylen-Polymer und einer oder zwei Deckschichten aus High Density Polyethylen (HDPE) und Polypropylen.

86Im Stand der Technik bekannten Folie dieser Art wiesen einen niedrigen Reibungskoeffizienten in Verbindung mit einer gut benetzbaren Oberfläche und eine ausgezeichnete optische Klarheit bzw. einen hohen Glanz und eine geringe Trübung auf (S. 2 Z. 14-18).

87Um eine hohe Trübung und einen minimalen Glanz zu erreichen, schlägt D3 eine besondere Zusammensetzung der beiden Schichten vor (S. 2 Z. 41 bis S. 3 Z. 8). Zur Verbesserung der Hafteigenschaften könnten die Oberflächen der Folie coronabehandelt werden (S. 3 Z. 9 f.). Überraschenderweise zeigten die erfindungsgemäßen Folien eine hervorragende Bedruckbarkeit, die durch Flamm- oder Coronabehandlung zusätzlich verbessert werden könne und besonders langzeitbeständig sei. Die hohe Oberflächenspannung falle unerwarteterweise auch nach mehrmonatiger Lagerzeit nur unerheblich ab (S. 4 Z. 19-25).

88Die Ergebnisse eines Vergleichs zwischen vier Ausführungsbeispielen (B1 bis B4) und sechs Vergleichsbeispielen (VB1 bis VB6) sind in der nachfolgend wiedergegebenen Tabelle dargestellt.

89bb) Zu Recht hat das Patentgericht D3 nicht als neuheitsschädlich angesehen.

90(1) D3 offenbart keine nicht-elastische Schicht im Sinne von Merkmal 3.

91Aus D3 ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass eine der Schichten so ausgestaltet ist, dass sie geeignet ist, Unebenheiten auf einem Untergrund auszugleichen.

92(2) Aus D3 lässt sich auch nicht unmittelbar und eindeutig eine Rautiefe von mindestens 10 µm entnehmen.

93(a) Aus der in der Beschreibung von D3 enthaltenen Angabe, die Rauigkeit der Oberfläche nach DIN 4768 liege über 1,0 µm (S. 4 Z. 18), ergibt sich keine Rauigkeit von 10 µm oder mehr.

94D3 benennt zwar keine ausdrückliche Obergrenze. Dennoch ist die in der Beschreibung enthaltene Bereichsangabe im Lichte der Gesamtoffenbarung auszulegen. Hierfür sind insbesondere die Angaben in der oben wiedergegebenen Tabelle maßgeblich. Diese weisen einen Höchstwert von 4,4 µm aus.

95Daraus mag zu entnehmen sein, dass auch eine höhere Rautiefe in Betracht kommt. Ein Vergleich der in der Tabelle ausgewiesenen Werte zeigt jedoch, dass es um einen Bereich geht, der sich in der Dimension des angegebenen Mindestwerts von 1,0 µm bewegt. Damit ist nicht hinreichend offenbart, eine Rautiefe von 10 µm oder mehr zu wählen.

96(b) Der von der Klägerin erstmals in der mündlichen Berufungsverhandlung erhobene Einwand, der in D3 verwendete Begriff der Rauigkeit sei entgegen der Annahme des Patentgerichts nicht gleichbedeutend mit der Rautiefe im Sinne von Merkmal 2.1, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

97Auch wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass die Rautiefe im Sinne von Merkmal 2.1 einen Maximalwert bezeichnet und die in D3 angegebenen Werte einen Mittelwert angeben, ist den Angaben in D3 nicht eindeutig zu entnehmen, dass eine Rautiefe von mindestens 10 µm erreicht wird.

98Wie der Senat in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, vermag das Vorbringen der Klägerin, nach einschlägigen Normen sei ein Umrechnungsfaktor von 7 üblich, schon deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen, weil der tatsächlich maßgebliche Faktor für die Umrechnung zwischen einem Mittel- und einem Maximalwert nach diesem Vorbringen von der Ausgestaltung der konkreten Oberfläche abhängt und D3 hierzu keine Angaben enthält, die hinreichend sicher auf einen bestimmten Umrechnungsfaktor schließen lassen.

99cc) Aus D3 ergibt sich auch keine Anregung in Richtung auf das Streitpatent.

100(1) Aus D3 ergaben sich zwar Hinweise auf den - nach den Feststellungen des Patentgerichts ohnehin bekannten - Umstand, dass auch raue Oberflächen bedruckt werden können. Die als überraschend gut bezeichneten Druckeigenschaften werden in D3 aber nicht mit der Rautiefe in Verbindung gebracht, sondern mit der Oberflächenenergie, die durch besondere Maßnahmen verbessert wird. Anhaltspunkte dafür, dass eine Rautiefe über 10 µm die Bedruckbarkeit verbessert, ergeben sich aus D3 nicht.

101(2) Der mit Hilfsantrag I verteidigte Gegenstand wäre selbst dann nicht nahegelegt, wenn eine Kombination von Folien der in D1 und D2 offenbarten Art mit einer oberen Schicht nach dem Vorbild von D3 alle Merkmale verwirklichen würde, wie die Klägerin dies in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat. Aus den genannten Entgegenhaltungen ergab sich für eine solche Kombination keine Anregung.

102In D1 und D2 steht die Rutschfestigkeit der Oberfläche im Mittelpunkt. Dieser Aspekt spielt im Zusammenhang von D3 keine ersichtliche Rolle. Vor diesem Hintergrund bestand kein Anlass, die in D1 und D2 vorgeschlagenen Oberflächen durch die in D3 offenbarte Folienschicht zu ersetzen.

103c) Durch das bereits erwähnte allgemeine Fachwissen, dass auch eine raue Folie bedruckbar sein kann, war der mit Hilfsantrag I verteidigte Gegenstand ebenfalls nicht nahegelegt.

104Aus diesem Wissen ergaben sich keine Hinweise darauf, dass abweichend von der in D1 und D2 offenbarten Vorgehensweise eine besonders widerstandsfähige Farbbeschichtung gerade durch Aufbringen der Farbe auf eine Oberfläche mit besonders großer Rautiefe erreicht werden kann.

105V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG sowie § 92 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:121223UXZR127.21.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-64259