BGH Beschluss v. - 6 StR 313/23

Instanzenzug: Az: 6 StR 313/23 Beschlussvorgehend Az: 6 StR 313/23vorgehend LG Stade Az: 101 KLs 12/22

Gründe

1Der Senat hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom mit Beschluss vom gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die nunmehr mit Schriftsätzen seiner Verteidiger – Rechtsanwalt B.   und Rechtsanwalt D.    – vom und vom angebrachten Anträge des Angeklagten, den Verwerfungsbeschluss des Senats aufzuheben und festzustellen, dass die Frist zur Begründung der Revision noch nicht zu laufen begonnen hat, haben keinen Erfolg.

2Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Zuschrift vom Folgendes ausgeführt:

„Den Anträgen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Der Angeklagte wurde am durch das Landgericht Stade wegen Brandstiftung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zudem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Gegen dieses Urteil legte er form- und fristgerecht Revision ein. Die von der Strafkammer des Landgerichts auf der Grundlage der Beratung verfasste, 44 Seiten umfassende, ordnungsgemäß unterschriebene und zur Zustellung an die Verfahrensbeteiligten bestimmte Urteilsurkunde ging am auf der Geschäftsstelle des Landgerichts ein (SA Bl. 37 Bd. VII). Entgegen der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom (SA Bl. 85 Bd. VII), die sich auf die Originalurkunde des Urteils bezog, wurde den Verteidigern versehentlich eine beglaubigte Abschrift einer lediglich 30-seitigen Entwurfsfassung zugestellt beziehungsweise übersandt, die nicht als solche erkennbar war. Zusätzlich erhielten die Verteidiger jeweils einen Datenträger, auf dem sich eine digitale Fassung der Sachakte befand, die wiederum das vollständige Urteil enthielt. Die Revisionsbegründung wurde sodann fristgerecht gefertigt. Sowohl dem Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof als auch dem Verwerfungsbeschluss des Bundesgerichtshofs (§ 349 Abs. 2 StPO) lag ausschließlich das zur Sachakte gelangte Originalurteil zugrunde. Erst nach Einleitung des Vollstreckungsverfahrens (Rechtsanwalt B.   ) beziehungsweise anlässlich eines zivilrechtlichen Verfahrens, dem eine der abgeurteilten Taten zugrunde lag (Rechtsanwalt D.     ), wurde das Versehen bekannt.

1. Es fehlt bereits an der Statthaftigkeit des Antrags.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Entscheidungen des Revisionsgerichts grundsätzlich weder aufgehoben noch abgeändert werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 597/19, Rn. 6; vom – 1 StR 62/19, Rn. 5; vom – 5 StR 481/05, Rn. 2; und vom – 3 StR 579/87, BGHR StPO § 349 Abs. 2 Beschluss 2). Das Bedürfnis der Rechtspflege und der Allgemeinheit nach Rechtssicherheit verbietet es auch im Revisionsverfahren, einen Eingriff in die Rechtskraft einer gerichtlichen Sachentscheidung zuzulassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 24/15, Rn. 8; und vom – 4 StR 392/61, BGHSt 17, 94, 95).

Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Voraussetzungen der speziell für diesen Verfahrensabschnitt geltenden Ausnahmevorschrift des § 356a StPO erfüllt sind, wonach die Entscheidung des Revisionsgerichts unter Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist (vgl. , Rn. 8); was zum einen nicht gerügt wurde und zum anderen ersichtlich ausscheidet. Denn § 356a StPO findet ausschließlich für Versäumnisse Anwendung, die dem Revisionsgericht zuzurechnen sind. Wenn also der zur Entscheidung berufene Senat bei seiner Entscheidung zum Nachteil des Beschwerdeführers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen der Antragsteller zuvor nicht gehört wurde, wenn er zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen oder sonst den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. , Rn. 1). Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom ausgeführt hat, hat er aber sowohl die Revisionsbegründungen als auch den Antrag des Generalbundesanwalts beim sowie die Gegenerklärung des Revisionsführers vom zur Kenntnis genommen und zur Grundlage seiner die Revision verwerfenden Entscheidung vom gemacht.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der 4. Senat des Bundesgerichtshofs an seiner in der Entscheidung vom vertretenen Rechtsauffassung – auf die der Antragsteller Bezug nimmt – nicht mehr festhält (vgl. , Rn. 13).

2. Die Anträge sind darüber hinaus auch unbegründet.

a) Die 44 Seiten umfassende Urteilsurkunde ist dem als Pflichtverteidiger beigeordneten Rechtsanwalt D.     wirksam zugestellt worden (§ 36 Abs. 1 StPO). Wie bereits eingangs dargestellt, sollte den Verteidigern nach der Zustellungsanordnung des Vorsitzenden vom (SA Bl. 85 Bd. VII) neben dem Urteil vom auch eine aktualisierte und digitalisierte Fassung der Sachakte zugestellt (Rechtsanwalt D.     ) beziehungsweise übersandt (Rechtsanwälte B.    und H.       ) werden, in welcher sich ausschließlich die Originalurkunde des Urteils befand. Wie dem vom Rechtsanwalt D.    am unterzeichneten Empfangsbekenntnis (SA Bl. 127 Bd. VII) und seinem Antrag vom zu entnehmen ist, ist ihm auch tatsächlich beides – und damit das in der Sachakte veraktete Urteil – zugegangen.

Zwar könnte eingewandt werden, dass es weder einem Angeklagten noch einem Verteidiger zuzumuten wäre, die ihm zugestellte Urteilsurkunde mit jener zu vergleichen, die sich in der Sachakte befindet. Vielmehr wird in der Regel wohl darauf vertraut werden dürfen, dass es sich um identische Fassungen handelt. Allerdings ist vorliegend in den Blick zu nehmen, dass Rechtsanwalt D.     mehrfach darauf gedrungen hatte, die Sachakte tatsächlich einsehen zu können. So vermerkte er bereits auf dem Empfangsbekenntnis, dass es ihm nicht möglich sei, die auf dem Datenträger vorhandene Datei zu öffnen. Nachdruck verlieh er seinem Einwand mit Schreiben vom (SA Bl. 129 Bd. VII) und vom (SA Bl. 136 Bd. VII). Um seinem Verlangen nachzukommen, wurde ihm am ein weiterer Datenträger zur Verfügung gestellt (SA Bl. 138 Bd. VII). In der von ihm gefertigten Revisionsbegründung vom nimmt Rechtsanwalt D.     sodann auf die schriftlichen Urteilsgründe in der Sachakte ausdrücklich Bezug (RB RA D.     S. 2: ‚Das Urteil hat die Paginiernummern 37 ff. im Hauptband VII der Verfahrensakte‘). Im Ergebnis wird somit schwerlich in Abrede gestellt werden können, dass er die vollständige Urteilsurkunde tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder zumindest zur Kenntnis hätte nehmen können.

Unbeachtlich ist darüber hinaus, dass die digitalisierte Sachakte ihrerseits nicht beglaubigt wurde; dem Verteidiger die vollständigen Urteilsgründe folglich nicht in der vom Vorsitzenden angeordneten Form (‚beglaubigte Abschrift‘) zugestellt worden sind. Wobei dahinstehen kann, ob die fehlende Beurkundung des zuzustellenden Schriftstücks bereits die Zustellung an sich unberührt lässt (vgl. MüKoZPO/Häublein/Müller, 6. Aufl., § 169 Rn. 2 ff. und § 189 Rn. 11 f.) oder aber durch die mittels Empfangsbekenntnis zweifelsfrei nachgewiesene Bekanntmachung des Schriftstücks etwaige Zustellungsmängel nach § 189 ZPO geheilt worden sind (vgl. , BGHZ 208, 255, 260).

b) Sofern bei Verletzung anderer grundrechtsgleicher Verfahrensrechte, einschließlich des Willkürverbots, ein entsprechender Eingriff in die Rechtskraft der revisionsgerichtlichen Sachentscheidung erwogen werden könnte (vgl. zu dieser [theoretischen] Möglichkeit BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 514/04, Rn. 2; und vom – 5 StR 481/05, Rn. 2), so wäre auch dieser außerordentliche Rechtsbehelf unbegründet. Dafür, dass die Zustellung beziehungsweise Übersendung des Urteilsentwurfs an die Verteidiger durch das Landgericht Stade auf sachfremden Erwägungen beruhen würde und die Entscheidung des Bundesgerichtshofs somit bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich wäre (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom – 1 BvR 898/79, BVerfGE 59, 128, 160 f.; und vom – 1 BvR 361/52, BVerfGE 4, 1, 7), liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.“

Dem schließt sich der Senat an.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:030424B6STR313.23.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-65473