BGH Beschluss v. - 3 StR 108/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StPO § 354 Abs. 1 a; StPO § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2; StGB § 46

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung, wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge einen Teilerfolg.

1. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 3. der Urteilsgründe) kann keinen Bestand haben; wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, ist die Überzeugungsbildung des Landgerichts insoweit teilweise auf Beweisstoff gestützt, der nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist (§ 261 StPO).

a) Dem liegt Folgendes zu Grunde:

Der Angeklagte hatte diese Tat zunächst in Abrede gestellt und behauptet, das Tatopfer - der Nebenkläger - sei nach Zahlung von 100 € damit einverstanden gewesen, dass er - der Angeklagte - und der (nicht revidierende) frühere Mitangeklagte F. sexuelle Handlungen an ihm vornehmen. "Nach erfolgter Beweisaufnahme" (vgl. UA S. 22) kam es auf Wunsch der Verteidiger gegen Ende des dritten Sitzungstages zu einem außerhalb der Hauptverhandlung geführten "informellen Gespräch" zwischen diesen, den Richtern und der Sitzungsstaatsanwältin. Dessen Ablauf schildern die Staatsanwältin und die beiden Berufsrichter in dienstlichen Stellungnahmen wie folgt: Die Verteidiger hätten danach gefragt, welches Strafmaß im Falle von Geständnissen zu erwarten sei. Der Verteidiger des Angeklagten S. habe hierbei erklärt, er stelle sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren vor. Demgegenüber habe die Staatsanwältin geäußert, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne aus ihrer Sicht "eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter 4 Jahren nicht in Betracht kommen". Nach interner Beratung der Kammer habe diese mitgeteilt, dass sie die Auffassung der Staatsanwältin teile. Der Verteidiger des Angeklagten S. habe daraufhin um Bedenkzeit bis zum nächsten Sitzungstag gebeten, um die Sache mit seinem Mandanten erörtern zu können.

Im nächsten Hauptverhandlungstermin hat der Verteidiger für den Angeklagten zu Protokoll "das Tatgeschehen ... eingeräumt"; der Angeklagte hat die Angaben seines Verteidigers "als zutreffend anerkannt" (UA S. 15). Das Landgericht hält die durch den Verteidiger abgegebene, vom Angeklagten bestätigte Erklärung bezüglich sämtlicher Tatvorwürfe für glaubhaft. Sie liefere für die dritte Tat (Fall II. 3. der Urteilsgründe) "zumindest für die Durchführung der körperlichen Misshandlungen" ein glaubhaftes Motiv; der Angeklagte habe wegen des Drogenkonsums des Nebenklägers - seines Schwagers - erzieherisch tätig werden wollen, da er sich für ihn verantwortlich gefühlt habe. Damit habe er seine frühere Einlassung überzeugend korrigiert. Dieser stünden im Übrigen auch die Angaben des Tatopfers und das Geständnis des Mitangeklagten entgegen.

b) Mit Recht rügt der Beschwerdeführer, dass das Landgericht damit seine Überzeugung teilweise nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft hat. Denn der Mitangeklagte hat sich dort zur Sache nicht erklärt. Dies wird durch die Sitzungsniederschrift bewiesen. Danach hat er zu Beginn der Hauptverhandlung über seinen Verteidiger mitgeteilt, er werde sich nicht zur Sache einlassen. Dass er sich später dennoch zu dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf geäußert hätte, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen (zur Protokollierungspflicht s. BGH NStZ 1995, 560 f.). Dieses weist lediglich aus, dass er im Rahmen des letzten Wortes äußerte, es tue ihm leid und er nehme die Strafe so hin, wie sie komme. Ein Geständnis des Mitangeklagten, das geeignet sein könnte, die frühere Einlassung des Angeklagten zu widerlegen, ist damit nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung geworden.

Zwar ist der Richter am Landgericht Sp. , der in der Hauptverhandlung den Vorsitz führte, in seiner dienstlichen Erklärung insoweit von dem Inhalt des von ihm mitzuverantwortenden Hauptverhandlungsprotokolls abgerückt. Der Mitangeklagte F. habe "im Rahmen der Hauptverhandlung" gestanden. Allerdings sei ihm nicht mehr erinnerlich, "wann und in welcher Verhandlungssituation dies der Fall war". Das Geständnis habe aber "von Anfang an außer Frage gestanden". Diese Erklärung ist indes nicht geeignet, die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (§ 274 Satz 1 StPO) zu erschüttern. Dabei kann dahinstehen, ob eine entsprechende Protokollberichtigung durch den Vorsitzenden und die Protokollführerin der Rüge des Beschwerdeführers den Boden hätte entziehen können (vgl. den Vorlagebeschluss des 1. Strafsenats des (NJW 2006, 3582 m. Anm. Wid-maier); denn eine solche ist nicht vorgenommen worden. Lediglich die einseitige Erklärung einer der Urkundspersonen beseitigt die Beweiskraft des Protokolls dagegen nicht, wenn damit die tatsächliche Grundlage für eine Verfahrensrüge des Angeklagten entfällt (vgl. BGH NStZ 2005, 46). Hier kommt hinzu, dass die dienstliche Erklärung derart vage gehalten ist, dass es zweifelhaft erscheint, ob der den Vorsitz führende Richter im Zeitpunkt ihrer Abgabe noch eine aktuelle Erinnerung an den Ablauf der Hauptverhandlung hatte. Zu den Umständen und dem Inhalt des "informellen Gesprächs" hat er selbst eingeräumt, dass erst die Lektüre der Stellungnahme der Sitzungsstaatsanwältin seine undeutliche Erinnerung aufgefrischt habe. Der Inhalt der dienstlichen Erklärungen der Staatsanwältin und des beisitzenden Richters zur Abgabe eines Geständnisses des Mitangeklagten in der Hauptverhandlung sind ebenfalls ohne Bedeutung; denn da die Beweiskraft des Protokolls insoweit nicht erschüttert ist, findet eine freibeweisliche Feststellung des Ablaufs der Hauptverhandlung hierzu nicht statt (s. demgegenüber unten c).

c) Auf dem dargestellten Verfahrensmangel beruht der Schuldspruch zum Fall II. 3. der Urteilsgründe. Der Senat kann angesichts der Besonderheiten der hier gegebenen Beweiskonstellation nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne Berücksichtigung der nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gewordenen Sacheinlassung des Mitangeklagten dem "Geständnis" des Angeklagten zu dieser Tat nicht geglaubt hätte.

Der Erklärung des Verteidigers und deren Bestätigung durch den Angeklagten lag eine Verfahrensabsprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger zu Grunde. Dies hat der Senat aufgrund der erwähnten dienstlichen Erklärungen freibeweislich festgestellt. Dem stand nicht entgegen, dass die Absprache nicht - wie geboten (BGHSt 43, 195, 205; 50, 40, 47) - in der Hauptverhandlung offen gelegt und in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurde. Durch das Schweigen des Protokolls wird hier nicht bewiesen, dass eine derartige Absprache (außerhalb der Hauptverhandlung) nicht stattfand. Dabei kann dahinstehen, ob dies schon deswegen der Fall ist, weil sich die negative Beweiskraft des Protokolls hierauf von vornherein nicht erstreckt (s. BGHSt 45, 227, 228; vgl. aber auch BVerfG StV 2000, 3; BGH NStZ 2004, 342 m. w. N.); denn jedenfalls hat die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, der den entsprechenden Revisionsvortrag zugunsten des Beschwerdeführers bestätigt hat, dem Protokoll in diesem Punkt die Beweiskraft entzogen (BGH NStZ 1988, 85).

Da das Geständnis Ergebnis einer Verfahrensabsprache war, musste es vom Landgericht in besonderer Weise auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden (BGHSt 50, 40, 49). Dies hat das Landgericht im Ansatz auch nicht verkannt; denn es setzt sich in den Urteilsgründen durchaus mit der Frage der Glaubwürdigkeit des in Form einer bestätigten Verteidigererklärung abgegebenen "Geständnisses" auseinander. Aus den entsprechenden Ausführungen ergibt sich aber, dass dieses zu Fall II. 3. der Urteilsgründe im Wesentlichen formeller Natur war und lediglich für die Körperverletzungshandlung ein Motiv darzutun versuchte. Vor diesem Hintergrund kam der Erwägung des Landgerichts, dass die frühere abweichende Einlassung des Angeklagten auch durch die Angaben des Nebenklägers und das Geständnis des Mitangeklagten widerlegt sei, durchaus tragende Bedeutung zu. Die Aussage des Nebenklägers war hierbei aber offenbar für sich allein nicht geeignet, die Überzeugung des Landgerichts in jede Richtung abzusichern. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass es trotz der aus seiner Sicht abgeschlossenen Beweisaufnahme überhaupt Anlass sah, noch in "informelle Gespräche" über ein einverständliches Verfahrensergebnis einzutreten und dem Angeklagten für die Abgabe eines Geständnisses Strafmilderung zuzusagen. Wenn es bei dieser Sachlage seine Beweiswürdigung auch auf ein Geständnis des Mitangeklagten stützt, das nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war, so ist nicht auszuschließen, dass es ohne dessen Verwertung zu einer abweichenden Überzeugung gelangt wäre.

d) Der Schuldspruch in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe hat dagegen Bestand. Für diese Fälle ist der dargestellte Verfahrensfehler ohne Bedeutung. Einen Sachmangel in der Beweiswürdigung sieht der Senat insoweit nicht. Er kann aber auch ausschließen, dass sich eine abweichende Würdigung des Landgerichts zu Fall II. 3. auf seine Überzeugungsbildung zu den beiden anderen Tatvorwürfen ausgewirkt hätte.

2. Der Strafausspruch ist insgesamt aufzuheben. Die Einzelstrafen für die Fälle II. 1. und 2. können schon deshalb keinen Bestand haben, weil es sich bei der für Fall II. 3. verhängten und durch die Teilaufhebung des Schuldspruchs weggefallenen Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten um die Einsatzstrafe handelte und der Senat nicht auszuschließen vermag, dass die Bemessung der übrigen Einzelstrafen durch die Höhe der Einsatzstrafe beeinflusst worden ist.

Die Einzelstrafen für die beiden weiteren Taten könnten aber auch deswegen nicht bestehen bleiben, weil sie im Hinblick auf eine unzulässig als Punktstrafe zugesagte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren festgelegt worden sind. Nach den dienstlichen Erklärungen soll Ergebnis der Absprache gewesen sein, dass gegen den Angeklagten im Falle eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht unter vier Jahren verhängt wird. Danach hätte das Gericht nicht - wie im Rahmen einer Verfahrensabsprache geboten (BGHSt 43, 195, 207 ff.) - eine Strafobergrenze, sondern eine Mindeststrafe zugesagt. Dass dies im wörtlichen Sinne tatsächlich so gemeint gewesen sein sollte, glaubt der Senat nicht. Es ist völlig lebensfremd, dass sich ein Angeklagter auf eine solche "Zusage" einlässt. Mit Blick auf die Interessen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft kann die erzielte Verständigung daher nur dahin verstanden werden, dass - gegebenenfalls verklausuliert durch die Bezeichnung als "Mindeststrafe" - alle an der Absprache Beteiligten darüber einig waren, es solle eine Gesamtfreiheitsstrafe von genau vier Jahren verhängt werden. Es wurde demgemäß eine nicht zulässige Punktstrafe versprochen und verhängt; entgegen dem durch die Urteilsgründe erweckten Anschein fand daher weder zu der Gesamtstrafe noch zu den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen eine an den Maßstäben des § 46 StGB ausgerichtete Strafzumessung statt. Dies muss nachgeholt werden. Für ein Vorgehen nach § 354 Abs. 1 a StPO (vgl. BGH NJW 2006, 3362) sah der Senat hier keinen Anlass.

3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 2424 Nr. 33
HAAAC-46728

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