BFH Urteil v. - VI R 35/09 BStBl 2011 II S. 267

Unterhaltszahlungen an Angehörige im Ausland

Leitsatz

1. Ein eigengenutztes Wohnhaus ist ebenso wie ein Angehörigen überlassenes Wohnhaus als Vermögen des Unterhaltsempfängers mit dem Verkehrswert zu berücksichtigen (entgegen R 33a.1 EStR).

2. Der Wert des Vermögens einer unterhaltenen Person ist in der Regel bis zu einem Wert von 15.500 € gering; diese Wertgrenze ist bei Zahlungen ins Ausland entsprechend der sog. Ländergruppeneinteilung an die Verhältnisse des Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person anzupassen.

3. Leben mehrere Unterhaltsempfänger zusammen, ist eine Aufteilung einheitlicher Unterhaltszahlungen nur möglich, wenn diese gewissermaßen „aus einem Topf” wirtschaften.

Gesetze: EStG § 33a Abs. 1

Instanzenzug: (EFG 2009, 1565) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1Streitig ist, ob Aufwendungen für den Unterhalt von in der Türkei lebenden Angehörigen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) zu berücksichtigen sind.

2Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr (2005) zahlten sie insgesamt 7.350 € an die in der Türkei lebenden Eltern der Klägerin. Ausweislich einer von den türkischen Behörden ausgestellten Unterhaltsbescheinigung sind die Eltern nicht berufstätig, haben keine eigenen Einkünfte oder Vermögen und tragen neben den Klägern keine anderen Personen zu ihrem Unterhalt bei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) wurden die Angaben dahingehend berichtigt, dass der Vater der Klägerin eine Rente in Höhe von 220 € monatlich bezieht und Eigentümer von zwei Häusern mit jeweils einer Wohnfläche von etwa 45 qm ist. In einem Haus wohnen die Eltern selbst, das andere Haus, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wohnhaus der Eltern belegen ist, wird unentgeltlich von dem Bruder der Klägerin und dessen Familie genutzt. Neben dem Bruder leben noch zwei Schwestern mit ihren jeweiligen Familien in derselben Gemeinde, aber nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Eltern.

3In der gemeinsamen Einkommensteuererklärung der Kläger für das Streitjahr beantragten die Kläger, die Unterhaltszahlungen nach § 33a Abs. 1 EStG abzuziehen. Dies lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) ab und wies den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Die Kläger wandten sich dagegen mit der Klage.

4Das FG gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1565 veröffentlichten Gründen teilweise statt.

5Mit der Revision rügt das FA die unzutreffende Anwendung von § 33a EStG.

6Das FA beantragt,

das aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

II.

8Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die bisherigen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Entscheidung, dass die Zahlungen der Kläger an die in der Türkei lebenden Eltern der Klägerin als Unterhaltszahlungen i.S. von § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen sind. Das FG wird nach Maßgabe der nachstehenden Rechtsgrundsätze des Senats die entsprechenden Feststellungen nachzuholen und erneut zu entscheiden haben.

91. Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 7.680 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG). Bei Unterhaltszahlungen an Empfänger im Ausland bestimmt § 33a Abs. 1 Satz 5 2. Halbsatz EStG zusätzlich, dass nach inländischen Maßstäben zu beurteilen ist, ob der Steuerpflichtige zum Unterhalt gesetzlich verpflichtet ist.

10a) Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) (Urteil des erkennenden Senats vom VI R 29/09, BFHE 230, 12) knüpft die gesetzliche Unterhaltsberechtigung i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG an die zivilrechtlichen Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs —Anspruchsgrundlage, Bedürftigkeit, Leistungsfähigkeit— an und beachtet auch die Unterhaltskonkurrenzen (§§ 1606, 1608 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB—). Die Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers i.S. des § 1602 BGB ist daher Voraussetzung für die Annahme einer Unterhaltsberechtigung i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG. Bedürftigkeit ist beispielsweise gegeben, wenn die unterhaltene Person weder Vermögen hat noch Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit erzielt. Die Grenzbeträge in § 33a Abs. 1 Satz 1, 4 und 5 EStG sowie das zu berücksichtigende eigene Vermögen des Unterstützten in § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ergänzen insoweit die zivilrechtlichen Regelungen, ersetzen diese aber nicht (so aber Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl., § 33a Rz 19). Der Senat folgt damit der sog. konkreten Betrachtungsweise und verweist zur näheren Begründung auf sein Urteil in BFHE 230, 12).

11b) Die bisherigen Feststellungen des FG gestatten keine Entscheidung darüber, ob die von den Klägern unterstützten Angehörigen tatsächlich bedürftig sind. Das FG hat die beiden Häuser des Vaters der Klägerin zu Unrecht nicht als relevantes Vermögen i.S. des § 33a Abs. 1 EStG berücksichtigt und daher keine Feststellungen zu deren Wert getroffen.

12aa) Nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ist Voraussetzung für den Abzug von Unterhaltsaufwendungen u.a., dass die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich unabhängig von der Anlageart nach dem gemeinen Wert des Vermögens; ein Wert von bis zu 15.500 € ist in der Regel gering (, BFHE 201, 192, BStBl II 2003, 655). Der Senat hält an dieser Grenze von 15.500 € zumindest für das Streitjahr weiterhin fest.

13Der Wert von 15.500 € ist im Streitfall aber entsprechend der sog. Ländergruppeneinteilung im (BStBl I 2003, 637) für jede unterhaltene Person um die Hälfte auf 7.750 € zu mindern, da nur so das Vermögen der Unterhaltsempfänger typisierend nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person angemessen abgebildet werden kann (, BFH/NV 2005, 1009).

14bb) Nach den Feststellungen des FG besitzt der Vater der Klägerin ein eigengenutztes Haus, dessen Verkehrswert aber nach Überzeugung des FG die Wertgrenze von 15.500 € nicht überschreitet. Das FG folgt damit im Grundsatz der Rechtsprechung des III. Senats des BFH, der im Rahmen des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ein selbstgenutztes Eigenheim mit dem Verkehrswert ansetzt. Der erkennende Senat folgt dieser Auslegung, da die Regelung des § 33a Abs. 1 EStG ihre Rechtfertigung und ihren sachlichen Grund im Zivilrecht findet (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 201, 192, BStBl II 2003, 655; entgegen R 33a.1 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 2005). Würde man das eigengenutzte Haus nach den Wertungen des Sozialrechts als Schonvermögen ansehen, wäre selbstgenutztes Wohneigentum gegenüber anderem Vermögen privilegiert.

15Das FG hat jedoch keine konkreten Feststellungen zum Wert des eigengenutzten Hauses getroffen. Es ist nicht erkennbar aufgrund welcher Umstände oder Überlegungen das FG zu dieser Überzeugung gelangt ist, dass der Wert des eigengenutzten Hauses die Wertgrenze des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG nicht überschreitet. Im Hinblick auf die dazu nachzuholenden Feststellungen weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Kläger nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung erhöhte Mitwirkungspflichten zur Aufklärung des Sachverhalts und für die Vorsorge sowie Beschaffung von Beweismitteln treffen, wenn sie Unterhaltszahlungen an im Ausland lebende Angehörige steuermindernd geltend machen.

16cc) Entgegen der Auffassung des FG ist das im Eigentum des Vaters der Klägerin befindliche Wohnhaus aufgrund der unentgeltlichen Überlassung an den Sohn auch nicht als unverwertbares Vermögen unberücksichtigt zu lassen. Eine generelle Unverwertbarkeit kann nur angenommen werden, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine Verwertung des Vermögens ausgeschlossen ist. Eine derartige Unverwertbarkeit schließt den Ansatz eines Vermögens im Rahmen des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG aus, das Vermögen ist wertlos (so auch sinngemäß , BFHE 221, 221, BStBl II 2009, 361). Dies ist im Streitfall weder vorgetragen noch ersichtlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Unterhaltsempfänger mit der Überlassung seine Bedürftigkeit selbst herbeigeführt hat (vgl. hierzu auch , BFHE 182, 64, BStBl II 1997, 387).

17Der im Eigentum des Vaters der Klägerin stehende Grundbesitz ist daher unabhängig von seiner konkreten Nutzung als verwertbares Vermögen anzusehen.

182. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist.

19a) Das FG hat im weiteren Rechtsgang festzustellen, ob das Vermögen des Vaters der Klägerin und das Vermögen der Mutter der Klägerin jeweils den Wert von 7.750 € übersteigen. Es wird hierzu eine Bewertung der Vermögen des Vaters und der Mutter der Klägerin vorzunehmen haben. Dabei wird es nach § 31 des Bewertungsgesetzes (BewG) das ausländische Grundvermögen nach § 9 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen haben. Sollte das FG feststellen, dass lediglich der Vater der Klägerin über relevantes Vermögen verfügt, wird es zu prüfen haben, ob der Vater der Klägerin so leistungsfähig ist, dass er seiner vorrangigen Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Mutter der Klägerin nach § 1608 BGB nachkommen kann.

20b) Das FG hat festgestellt, dass der Bruder der Klägerin mit seiner Familie in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Eltern in einem dem Vater der Klägerin gehörenden Haus wohnt. Diese Feststellungen des FG lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass der Bruder der Klägerin zusammen mit seinen Eltern eine Haushaltsgemeinschaft i.S. der Rechtsprechung des BFH gebildet hat. Nach dieser Rechtsprechung kann bei einem Zusammenleben mehrerer unterstützter Personen in einem Haushalt grundsätzlich nicht darauf abgestellt werden, an welchen der Angehörigen jeweils einzelne Teilbeträge überwiesen worden sind. Einheitliche Unterhaltsleistungen, die für den Unterhalt einer solchen Personengruppe bestimmt sind, sind vielmehr nach einem allgemeinen Maßstab aufzuteilen (, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483, m.w.N.).

21In Anlehnung an die Legaldefinition der „Haushaltsgemeinschaft” in § 24b Abs. 2 Satz 2 EStG liegt eine Haushaltsgemeinschaft dann vor, wenn über das bloße gemeinsame Wohnen hinaus quasi „aus einem Topf” gewirtschaftet wird (vgl. auch BTDrucks 15/1516, S. 53 zum Begriff der Haushaltsgemeinschaft in § 9 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch). Ein derartiges gemeinsames Wirtschaften ist nach den Feststellungen des FG nicht zu erkennen. Die Feststellungen des FG lassen im Übrigen auch nicht auf ein gemeinsames Wohnen schließen. Hierfür genügt es nicht, dass zwei räumlich getrennte Wohnungen lediglich in unmittelbarer Nachbarschaft belegen sind. Zudem hat das FG keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Zahlungen, die tatsächlich an den Vater der Klägerin in der Türkei ausgezahlt wurden, auch für den Bruder der Klägerin bestimmt waren. Dies wäre aber Voraussetzung, um überhaupt von Zahlungen an Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft sprechen zu können (, BFH/NV 2009, 932). Das FG ist daher nach den bisherigen Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Zahlungen von insgesamt 7.350 € nur zu 2/3 —also in Höhe von 4.900 €— dem Unterhalt der beiden Eltern der Klägerin gedient haben und zu 1/3 dem Unterhalt der Familie des Bruders der Klägerin.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:



Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 267
BFH/NV 2010 S. 2322 Nr. 12
BFH/PR 2011 S. 16 Nr. 1
BStBl II 2011 S. 267 Nr. 5
DB 2010 S. 2481 Nr. 45
DStRE 2010 S. 1502 Nr. 24
DStZ 2011 S. 10 Nr. 1
EStB 2010 S. 449 Nr. 12
FR 2011 S. 293 Nr. 6
GStB 2011 S. 2 Nr. 1
HFR 2011 S. 18 Nr. 1
IStR 2010 S. 915 Nr. 24
KÖSDI 2010 S. 17230 Nr. 12
NJW 2010 S. 10 Nr. 48
NJW 2011 S. 415 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 46/2010 S. 3683
StB 2010 S. 419 Nr. 12
StBW 2010 S. 1111 Nr. 24
StC 2011 S. 10 Nr. 1
TAAAD-55216