BGH Urteil v. - IV ZR 141/11

Krankentagegeldversicherung: Prüfungsgrundlagen für eine eingetretene Berufsunfähigkeit

Leitsatz

Bei einer Krankentagegeldversicherung kann sich der Versicherer nicht nur auf solche medizinischen Befunde stützen, die er vor seiner Behauptung der Berufsunfähigkeit beigezogen hat, sondern rückschauend auf alle Untersuchungsergebnisse, die für einen bestimmten Zeitpunkt aus der Sicht ex ante den Eintritt von Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers begründen.

Gesetze: § 15 Abs 1 Buchst b MB/KT 2009

Instanzenzug: Az: 20 U 114/09vorgehend Az: 23 O 441/06

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Leistungspflicht der Beklagten aus einer bei ihr gehaltenen Krankentagegeldversicherung.

2Die Klägerin, selbständige Maklerin für Versicherungen und Finanzen, schloss bei der Beklagten zum eine Krankentagegeldversicherung mit einer Leistungspflicht bei bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit von täglich 31 € ab. Einbezogen waren die RB/KT 94 sowie die Tarifbedingungen. Die Klägerin war im Wesentlichen seit 2001 und zuletzt ab dem arbeitsunfähig krankgeschrieben und bezog das vereinbarte Krankentagegeld. Mit Schreiben vom teilte die Beklagte ihr mit, ein von ihr beauftragter Gutachter sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sie seit dem berufsunfähig sei, die Leistungen würden daher nach § 19 (1) b RB/KT 94 zum eingestellt. Mit der Klage begehrt die Klägerin Krankentagegeld vom bis zum in Höhe von insgesamt 5.208 € sowie Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrages. Sie sei in dem Zeitraum zwar vollständig arbeits-, nicht aber berufsunfähig gewesen.

3Das Landgericht hat nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens dem Zahlungsantrag im Hinblick auf einen von dem Gutachter zum festgestellten Eintritt der Berufsunfähigkeit teilweise und das Oberlandesgericht hat der Berufung der Klägerin - abgesehen von einem Teil der Zinsforderung - im vollen Umfang stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens eine Berufsunfähigkeit der Klägerin zum ausgeschlossen. Die Beklagte sei auch nicht dadurch leistungsfrei geworden, dass bei der Klägerin am eine arterielle Verschlusserkrankung festgestellt wurde, die nach Wertung des Sachverständigen unter Einbeziehung der orthopädischen Beschwerden bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit herbeigeführt habe, denn dieser Befund sei der Beklagten erst mit Übersendung des Gutachtens und damit mehrere Monate nach dem streitigen Leistungszeitraum bekannt geworden. Die Beklagte habe sich auf den Befund erst ab Kenntnis berufen können. Die Feststellungsklage sei ebenfalls begründet, weil die Beklagte jedenfalls nicht zum leistungsfrei geworden sei. Eine Beendigung der Leistungspflicht zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens des Sachverständigen am habe die Beklagte in erster Instanz nicht geltend gemacht. Soweit sie sich im Berufungsverfahren im Termin zur mündlichen Verhandlung erstmals auf den Befund berufen habe, sei dieser neue Angriff nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO verspätet.

6II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe sich auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Berufsunfähigkeit der Klägerin erst ab Kenntnis berufen können, ist rechtsfehlerhaft.

81. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht aufgrund des Sachverständigengutachtens angenommen, dass die Beklagte nicht wegen Berufsunfähigkeit der Klägerin nach § 19 (1) b RB/KT 94 zum leistungsfrei geworden ist.

9Berufsunfähigkeit liegt danach vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig ist. Es geht danach um einen Zustand, dessen Fortbestand aus sachkundiger Sicht für nicht absehbare Zeit prognostiziert wird, der jedoch typischerweise nicht auch als endgültig oder unveränderlich beurteilt werden kann (Senatsurteil vom - IV ZR 163/09, BGHZ 186, 115, 127 Rn. 30 m.w.N.).

10Zwar hatten die von der Beklagten beauftragten Gutachter bei der Klägerin bereits zum eine deutlich mehr als 50% betragende Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auf nicht absehbare Zeit nach Aktenlage festgestellt. Dieses Ergebnis hat der vom Gericht bestellte Gutachter aber nicht bestätigt, sondern ausgeführt, eine Berufsunfähigkeit der Klägerin bestehe erst seit Feststellung einer arteriellen Verschlusskrankheit am . Die beweisbelastete Beklagte hatte damit nach den rechtsfehlerfreien und nichtangegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen nicht den Beweis erbracht, dass die Klägerin bereits zum berufsunfähig war.

112. Soweit das Berufungsgericht aber eine Leistungsfreiheit der Beklagten auch für die Zeit ab dem abgelehnt hat, beruht dies auf einer nicht zutreffenden Interpretation des Senatsurteils vom (aaO 128 f. Rn. 31 ff.). Diesem lässt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht entnehmen, dass sich der Versicherer nur auf solche medizinischen Befunde berufen kann, die er vor seiner Behauptung der Berufsunfähigkeit beigezogen und ausgewertet hatte.

12Die Prognose der Berufsunfähigkeit ist für den Zeitpunkt zu stellen, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet; für die sachverständige Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit sind die "medizinischen Befunde" - d.h. alle ärztlichen Berichte und sonstigen Untersuchungsergebnisse - heranzuziehen und auszuwerten, die der darlegungs- und beweisbelastete Versicherer für die maßgeblichen Zeitpunkte vorlegen kann. Dabei ist gleich, wann und zu welchem Zweck die medizinischen Befunde erhoben (aaO 128 Rn. 31) und dem Versicherer bekannt geworden sind. Entscheidend ist nicht, wann und wie der Versicherer in der Folge Kenntnis von der Berufsunfähigkeit erlangt, sondern wann diese eingetreten ist. Die Prognose der Berufsunfähigkeit kann also auch rückschauend für den Zeitpunkt gestellt werden, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, allerdings muss dies aus der Sicht ex ante geschehen, das heißt ohne Berücksichtigung des weiteren Verlaufs nach diesem Zeitpunkt. Bei einem nachträglich erstellten Gutachten - wie hier - muss der Verlauf zwischen dem Zeitpunkt, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, und dem Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen außer Betracht bleiben.

13Das bedeutet, dass es vorliegend darauf ankommt, ob sich für den Zeitpunkt aus der maßgeblichen Sicht ex ante eine Prognose der Berufsunfähigkeit der Klägerin stellen lässt. Dazu hat das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen getroffen. Nachdem die Beklagte das von ihr behauptete Ende der Leistungspflicht zum nicht hatte nachweisen können, hat sie mit Schriftsatz vom das Ende ihrer Leistungspflicht jedenfalls für den behauptet. Dem hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen, da für dieses Datum - was ausreichend war - aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens rückschauend auch ein medizinischer Befund vorlag.

14III. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Die Klägerin hat bestritten, dass sie wegen der arteriellen Verschlusserkrankung ab dem berufsunfähig sei. Das Berufungsgericht wird dies durch Einholung eines geeigneten Sachverständigengutachtens aufzuklären haben. Das bislang vorliegende Gutachten genügt nicht, um eine Berufsunfähigkeit im Sinne der dargelegten Senatsrechtsprechung zu belegen. Abgesehen davon, dass der gerichtliche Sachverständige die Hinzuziehung eines Gefäßspezialisten empfohlen hat, fehlt es bislang an ausreichenden Feststellungen, dass die Berufsunfähigkeit zu dem behaupteten Zeitpunkt am auch ohne Berücksichtigung des weiteren Verlaufs bestand. Ausweislich des gerichtlichen Sachverständigengutachtens hat der Sachverständige zwar eine Berufsunfähigkeit bezogen auf dieses Datum bestätigt, zur Begründung aber den weiteren Verlauf nach dem mit einbezogen. Das Berufungsgericht wird dem Sachverständigen daher die Vorgabe zu machen haben, dass die Begutachtung zum Vorliegen einer Berufsunfähigkeit zu dem maßgeblichen Zeitpunkt, dem , aus der Sicht ex ante erfolgen und der weitere Krankheitsverlauf nach diesem Zeitpunkt unberücksichtigt bleiben muss. Außerdem weist der Senat zum Feststellungsantrag auf sein Urteil vom (IV ZR 339/90, VersR 1992, 479) hin.

Mayen                                      Harsdorf-Gebhardt                                            Dr. Karczewski

                     Lehmann                                                 Dr. Brockmöller

Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 2804 Nr. 38
NJW 2012 S. 6 Nr. 33
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2012 S. 2607
XAAAE-13893