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FG München Urteil v. - 5 K 2812/11

Gesetze: AO § 88, AO § 110, AO § 125 Abs. 1, AO § 162, AO § 355, FGO § 155, ZPO § 85 Abs. 2

Nichtigkeit von Bescheiden

willkürliche Schätzung von Besteuerungsgrundlagen

Strafschätzungen sind nicht zulässig

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn Umschlag auf dem Weg zur Post vom Sitz des Autos rutscht

Leitsatz

1. Auch der nichtige Bescheid kann mit der Anfechtungsklage angefochten werden.

2. Die streitigen Einkommensteuerbescheide für 2007 leiden an einem besonders schwerwiegenden Fehler, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen wurden im Streitfall in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, die ergangenen Einkommensteuer-bescheide 2007 als verbindlich anzuerkennen. Die Schätzung weicht in krassem Umfang von den tatsächlichen Gegebenheiten ab und verlässt den zulässigen Schätzungsrahmen in einem dermaßen eklatanten Umfang, dass sich schon aus diesem Grund der Verdacht einer unzulässigen Strafschätzung aufdrängt. Im Streitfall liegen keine geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung von Kapitaleinkünften und von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (in dermaßen eklatanter Höhe) vor. Zum Zeitpunkt der Schätzung blieben feststehende Tatsachen entgegen der gesetzlichen Regelung in § 162 Abs. 1 AO unberücksichtigt.

3. Der Steuerpflichtige kann, wenn keine Anhaltspunkte für mögliche Verzögerungen vorliegen, davon ausgehen, dass werktags im Bundesgebiet aufgegebene Sendungen am folgenden Werktag im Bundesgebiet ausgeliefert werden. Dass der Briefumschlag bei der Autofahrt vom Sitz zur Beifahrertür hin rutschen konnte, gehört zu den Umständen, die nie mit hundertprozentiger Sicherheit zu vermeiden sind. Das Verlangen des FA, die Briefe vor dem Einwurf in den Briefkasten jedes Mal abzuzählen, ist überzogen. Auch in der Steuerverwaltung existiert kein Kontrollsystem für die gesicherte vollständige Postaufgabe bei der Post oder beim Briefkasten. Nur eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten, nicht aber Verschulden des ordnungsgemäß ausgewählten, instruierten und überwachten Büropersonals werden dem Verfahrensbeteiligten gemäß § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet.

Tatbestand

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
PStR 2014 S. 289 Nr. 11
BAAAE-30400

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