BVerwG Urteil v. - 9 C 3/19

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein Az: 2 LB 90/18 Urteilvorgehend Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Az: 2 A 134/15

Tatbestand

1Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer für die Jahre 2014 und 2015. Er hat seinen Hauptwohnsitz in H. Im Gebiet der Gemeinde F., die Mitgliedsgemeinde des beklagten Amtes ist, war er bis zum Herbst 2018 Eigentümer eines Hauses, in dem er die Wohnung im Dachgeschoss selbst nutzte.

2Die Gemeinde F. erhebt Zweitwohnungssteuer auf der Grundlage ihrer Zweitwohnungssteuersatzung vom , in den streitgegenständlichen Jahren in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom (ZwStS). Die Steuer bemisst sich gemäß § 4 Abs. 1 ZwStS nach dem Mietwert der Wohnung. Die Regelungen in § 4 Abs. 2 bis 4 ZwStS lauten:

(2) Als Mietwert gilt die Jahresrohmiete. Die Vorschriften des § 79 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 230), zuletzt geändert durch StÄndG 2001 vom (BGBl. I S. 3794), finden mit der Maßgabe Anwendung, dass die Jahresrohmieten, die gemäß Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom (BGBl. I S. 851) vom Finanzamt auf den Hauptfeststellungszeitpunkt festgestellt wurden, jeweils für das Erhebungsjahr auf den September des Vorjahres hochgerechnet werden.

Diese Hochrechnung erfolgt bis Januar 1995 entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten einschließlich Nebenkosten nach dem Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte im früheren Bundesgebiet, veröffentlicht vom Statistischen Bundesamt.

Ab Januar 1995 erfolgt die Hochrechnung entsprechend der Steigerung der Wohnungsnettokaltmiete nach dem Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte im gesamten Bundesgebiet, veröffentlicht vom Statistischen Bundesamt (2000 = 100).

Ab Januar 2003 wird aus der bisherigen Bezeichnung "Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte im gesamten Bundesgebiet" die Bezeichnung "Verbraucherpreisindex für Deutschland".

(3) Ist eine Jahresrohmiete nicht zu ermitteln, so tritt an die Stelle des Mietwertes nach Abs. 2 die übliche Miete im Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes.

(4) Ist die übliche Miete nicht zu ermitteln, so treten an deren Stelle sechs v.H. des gemeinen Wertes der Wohnung. Die Vorschrift des § 9 des Bewertungsgesetzes findet entsprechende Anwendung.

3Mit Bescheid vom setzte der Beklagte die Zweitwohnungssteuer für das Jahr 2014 in Höhe von 755,70 € fest und zog gleichzeitig den Kläger für das Jahr 2015 zu einer Vorauszahlung in Höhe von 767,21 € heran. Die hiergegen eingelegten Widersprüche wurden zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab.

4Das Oberverwaltungsgericht hob die angefochtenen Bescheide auf, weil die Satzungsregelung über den Steuermaßstab nichtig sei. Die Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach der mit den Preissteigerungsraten für Wohnungsmieten indexierten Jahresrohmiete und damit nach den Wertverhältnissen des Jahres 1964 verstoße gegen das Gebot steuerlicher Belastungsgleichheit, weil sich die Immobilienwerte innerhalb des Satzungsgebiets seitdem unterschiedlich entwickelt hätten und so für höchst ungleiche Wohnungen und Häuser der gleiche Mietwert berücksichtigt werde. Der Gemeinde stünden geeignete Alternativmaßstäbe zur Verfügung. Eine zeitlich befristete Weitergeltung der verfassungswidrigen Steuermaßstäbe komme nicht in Betracht.

5Mit Kammerbeschluss vom (- 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 -) erkannte das Bundesverfassungsgericht zu den Zweitwohnungssteuersatzungen zweier bayerischer Gemeinden, dass die Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach dem Maßstab einer auf den festgestellten Jahresrohmiete mit dem Grundsatz der Lastengleichheit bei der Besteuerung nicht vereinbar und seit dem Jahr 2009 verfassungswidrig ist. Gleichzeitig ordnete die Kammer für die von den dortigen Verfassungsbeschwerden betroffenen Steuersatzungen deren Fortgeltung bis zum an.

6Zur Begründung seiner Revision vertritt der Beklagte die Auffassung, selbst unter der Prämisse der Unwirksamkeit der angegriffenen Satzungsregelungen seien die angegriffenen Bescheide nicht aufzuheben. Nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch die Verwaltungsgerichte seien zur übergangsweisen Anordnung der Fortgeltung für eine kommunale Satzung berechtigt und in Ausnahmefällen verpflichtet. Ohne eine übergangsweise Fortgeltungsanordnung seien Einnahmeausfälle der Gemeinde zu erwarten.

7Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom zurückzuweisen.

8Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9Er verteidigt das Berufungsurteil.

Gründe

10Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsgericht hat die angefochtenen Bescheide in Übereinstimmung mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) aufgehoben. Die Bescheide können nicht auf die Zweitwohnungssteuersatzung der Gemeinde F. gestützt werden, weil § 4 ZwStS insgesamt und insbesondere der in § 4 Abs. 2 und 3 ZwStS geregelte Steuermaßstab der "indexierten Jahresrohmiete" mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist (1.) und eine Fortgeltungsanordnung für die verfassungswidrige Satzungsbestimmung nicht in Betracht kommt (2.).

111. Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt stets auch eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage. Der Normgeber hat für die Wahl der Bemessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Regeln ihrer Ermittlung einen großen Spielraum, solange diese nur prinzipiell dazu geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen (stRspr des BVerfG, vgl. - BVerfGE 148, 147 Rn. 96 ff.; Kammerbeschluss vom - 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 29, jeweils m.w.N.).

12Bei der Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach der auf den festgestellten Jahresrohmiete gemäß § 79 BewG kommt es durch erhebliche Wertverzerrungen zu Ungleichbehandlungen, die vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr gerechtfertigt sind. Da die Verwendung dieses Maßstabs ganz generell keine realitätsnahe und relationsgerechte Bewertung mehr ermöglicht, können jedenfalls seit dem Jahr 2009 weder das Ziel der Verwaltungsvereinfachung noch Gründe der Typisierung und Pauschalierung die Verwendung des Maßstabs rechtfertigen ( und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 32 f.).

13Bei diesem auch von der Gemeinde F. verwendeten Steuermaßstab werden seit 1964 veränderte Ausstattungsstandards von Gebäuden ebenso wenig berücksichtigt wie Veränderungen der Lage oder verkehrlichen Anbindung von Grundstücken. Dies führt dazu, dass mit diesem Steuermaßstab der durch das Halten einer Zweitwohnung betriebene Aufwand nicht bei allen Zweitwohnungsinhabern gleichmäßig abgebildet wird, sondern erhebliche Wertverzerrungen auftreten, die eine gleichheitsgerechte Erhebung der Zweitwohnungssteuer verhindern. Die Wertverzerrungen werden nicht durch die Hochrechnung der Jahresrohmiete entsprechend dem Preisindex der Lebenshaltung für Wohnungsmieten ausgeglichen, vielmehr wird die ungleiche Behandlung unterschiedlicher Zweitwohnungsinhaber im Gemeindegebiet durch die Hochrechnung perpetuiert ( und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 32 und 34 f.). Das Berufungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass der Gemeinde andere als zulässig anerkannte und hinreichend praktikable Steuermaßstäbe wie die tatsächlich gezahlte bzw. die ortsübliche Miete für vergleichbare Objekte zur Verfügung stehen.

14In Übereinstimmung mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht weiter angenommen, dass der Gleichheitsverstoß der Regelung in § 4 Abs. 2 ZwStS zur Gesamtnichtigkeit der Steuermaßstabsnorm führt. Ohne den in § 4 Abs. 2 ZwStS normierten Primärmaßstab fehlt den Ersatzmaßstäben in den Absätzen 3 und 4 der Bezug, da sie kein inhaltlich sinnvolles, anwendbares Regelwerk darstellen und der Satzungsgeber diese Regelungen nicht ohne den nichtigen Teil erlassen hätte.

152. Zu Recht hat es das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, eine zeitlich befristete Fortgeltung der verfassungswidrigen Satzung anzuordnen. Die Verwaltungsgerichte sind zu einer derartigen Fortgeltungsanordnung grundsätzlich nicht befugt (vgl. u.a. - BVerfGE 150, 204 Rn. 70 zur entsprechenden Frage nach Nichtigerklärung eines Parlamentsgesetzes; 9 CN 1.09 - BVerwGE 137, 123 Rn. 29 zum Normenkontrollverfahren). Sie sind vielmehr gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet, angefochtene Steuerbescheide aufzuheben, wenn diese keine Grundlage in einer gültigen Satzung finden und deshalb die Steuerschuldner in ihren Rechten verletzen (BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 193.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8 und vom - 11 B 54.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9 S. 20). Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Erklärung der Satzung als unwirksam bzw. die darauf beruhende Aufhebung der Steuerbescheide einen "Notstand" zur Folge hätte, könnte etwas anderes gelten ( 9 CN 1.09 - BVerwGE 137, 123 Rn. 29; Beschluss vom - 9 B 109.09 - juris Rn. 8). Von einem derartigen Notstand kann hier ersichtlich keine Rede sein. Einen darüber hinaus gehenden Spielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen verfassungswidriger Satzungsbestimmungen hat der Gesetzgeber den Verwaltungsgerichten nicht eingeräumt. Das Bundesverfassungsgericht stützt seine Praxis auf die speziellen Regelungen in § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG (s. zuletzt u.a. - BVerfGE 150, 204 Rn. 108), die in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Entsprechung finden.

16Es besteht hier auch kein Grund dafür, einem durch die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Steuermaßstabs (s. 9 C 3.02 - BVerwGE 117, 345) begründeten Vertrauenstatbestand mittels Übergangsregelungen Rechnung zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar angenommen, dass durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet und bei Änderung dieser Rechtsprechung dem erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden kann ( - BVerfGE 122, 248 <277 f.>). Eine solche Situation liegt jedoch nicht vor.

17Bereits durch den ausführlich begründeten Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs zur Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung vom (- II R 16/13 - BFHE 247, 150) wurde das Vertrauen auf den dauerhaften Fortbestand der Rechtsprechung zum Steuermaßstab der indexierten Jahresrohmiete erschüttert (vgl. zum Unzulässigwerden des Stückzahlmaßstabs bei der Spielapparatesteuer 10 C 5.04 - BVerwGE 123, 218 <234>). Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Regelungen über die Einheitsbewertung wegen der gravierenden Wertverzerrungen durch das Festhalten am Hauptfeststellungszeitpunkt zum durch das Urteil vom (- 1 BvL 11/14 - BVerfGE 148, 147) für verfassungswidrig erklärt hatte, konnten die Gemeinden erst recht nicht mehr davon ausgehen, dass ein Steuermaßstab mit der Anknüpfung an die Wertverhältnisse des Jahres 1964 auf Dauer beibehalten werden kann.

18Auch wenn in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Anschluss an dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Teil noch die Auffassung vertreten wurde, der betreffende Steuermaßstab sei gleichwohl für die Zweitwohnungssteuer weiterhin zulässig, so konnte doch - zudem angesichts gegenteiliger Urteile - nicht mehr auf eine gefestigte Rechtsprechung vertraut werden.

19Die im Schriftsatz der Beklagten vom zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. Urteile vom - 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 <105> und vom - 5 C 29.12 - BVerwGE 148, 116 Rn. 23) betrafen gänzlich andere Konstellationen. Dort ging es darum, durch eine vorläufige Weitergeltung von Verwaltungsvorschriften bis zur Schaffung der notwendigen gesetzlichen Grundlagen zugunsten von Grundrechtsträgern einen noch verfassungsferneren Zustand zu vermeiden.

20Unzumutbare Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt durch die Aufhebung von Steuerbescheiden infolge der Nichtigkeit der Satzungsgrundlage sind regelmäßig und auch hier nicht zu befürchten. Denn für die Vergangenheit sind nur die noch nicht bestandskräftigen Bescheide betroffen. Es besteht keine Verpflichtung, unanfechtbare Bescheide zu überprüfen und anzupassen. Darüber hinaus sind die Kommunen berechtigt, eine ungültige Satzung rückwirkend durch eine neue Satzung zu ersetzen und auf dieser Grundlage Steuern auch für einen zurückliegenden Zeitraum neu zu erheben (stRspr, s. 8 B 193.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8).

21Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:271119U9C3.19.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2020 S. 607 Nr. 6
PAAAH-42902