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NWB-EV Nr. 4 vom Seite 127

Auswirkungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes auf die zivilrechtliche Elternunterhaltsverpflichtung

Anspruch entfällt in Mehrzahl der Fälle ab 1.1.2020

Anke Schmidt-Graumann

Das Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) wurde am vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats beschlossen. Ziel des Gesetzes ist es, Kinder, die gegenüber Sozialhilfeleistungen beziehenden Eltern unterhaltsverpflichtet sind, zu entlasten. Zu diesem Zweck wurde § 94 SGB XII, der den Übergang von Ansprüchen gegen einen nach dem bürgerlichen Recht Unterhaltspflichtigen auf den Sozialhilfeträger regelt, um einen Abs. 1a ergänzt, der den Unterhaltsübergang von dem Überschreiten einer Einkommensgrenze von 100.000 € abhängig macht. Die Regelung ist am in Kraft getreten (Art. 8 Abs. 3 Angehörigen-Entlastungsgesetz). Es wird erwartet, dass aufgrund der Einkommensgrenze von 100.000 € für die Mehrzahl der Betroffenen Elternunterhalt entfällt und nur noch ein kleiner Personenkreis von ca. 5 bis 6 % der voll- oder teilzeitbeschäftigten Personen für den Unterhalt seiner Eltern einzutreten hat (vgl. Stein, NZFam 2019 S. 667). Der Rückgriff des Sozialhilfeträgers auf unterhaltspflichtige Kinder wird zur seltenen Ausnahme werden, so dass fraglich ist, ob es für den Sozialhilfeträger wirtschaftlicher ist, auf die Refinanzierung der Sozialhilfe ganz zu verzichten.

Kernaussagen
  • Durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz entfällt ein Elternunterhaltsanspruch in der Mehrzahl der Fälle ab dem . Durch Pflegebedürftigkeit begründeter Bedarf, der nicht aus dem eigenen Einkommen des Pflegebedürftigen und seines Ehepartners finanziert werden kann, ist im Regelfall von dem Sozialhilfeträger zu finanzieren.

  • Für das Unterschreiten der Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € gilt eine gesetzliche Vermutung, die allerdings widerlegbar ist.

  • Der in der Düsseldorfer Tabelle bezifferte angemessene Selbstbehalt, der einem unterhaltspflichtigen Kind gegenüber seinen Eltern zusteht, ist unter Berücksichtigung der Jahresbruttoeinkommensgrenze von 100.000 € anzupassen. Ob dies mithilfe eines Bruttobetrags durch Bestimmung des Jahresgesamteinkommens gemäß § 16 SGB IV oder durch Erhöhung des Nettobetrags, der dem Unterhaltspflichtigen zu verbleiben hat, geschieht, ist gesetzlich nicht geregelt und lässt sich der Düsseldorfer Tabelle nicht entnehmen. Eine Unterhaltsverpflichtung von Angehörigen, deren Jahresbruttoeinkommen 100.000 € nicht übersteigt, ist aber ab dem unangemessen.

I. Regelung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes zum Elternunterhalt

1. Ergänzung des § 94 SGB XII um Abs. 1a

Soweit der Sozialhilfeträger Hilfe leistet, geht ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch des Leistungsberechtigten und Hilfeempfängers auf den Sozialhilfeträger über (§ 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Über die Hilfegewährung entscheidet der Sozialhilfeträger durch einen Verwaltungsakt gegenüber dem Hilfebedürftigen.

Der Forderungsübergang des Unterhaltsanspruchs des Leistungsberechtigten auf den Sozialhilfeträger vollzieht sich nicht durch den Verwaltungsakt, sondern ist eine Legalzession (cessio legis), die auf die tatsächlich geleistete Sozialhilfe beschränkt ist. Wird Sozialhilfe zu Unrecht gewährt, findet ein Forderungsübergang nicht statt, da Voraussetzung ist, dass ein Unterhaltsanspruch besteht. Wird Sozialhilfe teilweise zu Unrecht gewährt, ist der Forderungsübergang auf die zu Recht gewährte Hilfe beschränkt. Die Bestandskraft des Sozialhilfebescheids ist für den Anspruchsübergang nicht relevant.

a) Nichtberücksichtigung von Unterhaltsansprüchen der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern

Die Entlastung Angehöriger von Elternunterhaltsverpflichtungen wird dadurch hergestellt, dass Unterhaltsansprüche der S. 128Leistungsberechtigten gegenüber Kindern und Eltern bei dem Übergang von Unterhaltsansprüchen auf den Sozialhilfeträger nicht zu berücksichtigen sind (§ 94 Abs. 1a Satz 1 Halbsatz 1 SGB XII). Von der Entlastung ausgenommen sind nur solche Unterhaltsverpflichteten, deren jährliches Gesamteinkommen gemäß § 16 SGB IV mehr als 100.000 € beträgt (§ 94 Abs. 1a Satz 1  Halbsatz 2 SGB XII). Damit ist die Mehrzahl der Personen, die aufgrund von Verwandtschaft unterhaltsverpflichtet sein könnten, von der Unterhaltspflicht entbunden. Ein Unterhaltsübergang auf den Sozialhilfeträger erfolgt für diesen Personenkreis nicht.

Die Entlastung greift aber nicht bei Leistungen an minderjährige Kinder (§ 94 Abs. 1a Satz 6 SGB XII).

b) Vermutung des Unterschreitens der Jahreseinkommensgrenze

Dass das Gesamteinkommen des Pflichtigen die Einkommensgrenze von 100.000 € nicht überschreitet, wird vermutet (§ 94 Abs. 1a Satz 3 SGB XII). Die Vermutung ist widerlegbar. Zu diesem Zweck kann der zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf das Einkommen der Unterhaltspflichtigen zulassen.

Nur wenn hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Einkommensgrenze des Gesamteinkommens nach § 16 SGB IV vorliegen, bestehen Auskunftsansprüche gegen den Unterhaltspflichtigen nach § 117 SGB XII. Der Verweis auf § 117 SGB XII berechtigt den Sozialhilfeträger darüber hinaus, von sonstigen in § 117 SGB XII genannten Dritten Auskunft zu verlangen.