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StuB Nr. 11 vom Seite 422

Über die vermeintliche Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Aktivierung latenter Steuern auf steuerliche Verlustvorträge

Eine weitere wundersame Eigenkapitalvermehrung?

Jonas Max Bense

Der nachfolgende Beitrag geht der bis dato strittigen Frage nach, ob ein Ansatz aktiver latenter Steuern trotz der in § 274 Abs. 1 Satz 4 HGB verankerten Fünfjahresgrenze de lege lata auch für steuerliche Verlustvorträge infrage kommt, die voraussichtlich erst nach dieser Frist genutzt werden. Der Autor tritt der Mehrheitsauffassung entgegen, die eine Aktivierung latenter Steuern auf steuerliche Verlustvorträge jenseits des gesetzten Fünfjahreszeitraums als zulässig erachtet.

Utz/Frank, Latente Steuern (HGB), infoCenter NWB QAAAE-60615

Kernfragen
  • Unter welchen Voraussetzungen kann eine Aktivierung latenter Steuern nach § 274 Abs. 1 Satz 4 HGB erfolgen?

  • Wie ist die durch den Gesetzgeber geschaffene Fünfjahresgrenze zu interpretieren?

  • Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus?

I. Einleitung

[i]Kessler/Leinen, Latente Steuern: Abbau temporärer Auffassungsdivergenzen?, StuB 7/2010 S. 275 NWB EAAAD-40495 Petersen/Zwirner, Neukonzeption der Abgrenzung latenter Steuern durch das BilMoG, StuB 20/2008 S. 777 NWB ZAAAC-93511 Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 11. Aufl. 2020, § 274 NWB VAAAH-36420 Mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) hat der handelsrechtliche Gesetzgeber einen „Spagat“ zwischen der Beibehaltung eherner Bilanzierungsgrundsätze und einer Annäherung der handelsrechtlichen Rechnungslegung an internationale Vorschriften zum Zwecke der Betonung der Informationsfunktion gewagt. Ein wesentlicher Teil dieser „Modernisierungsbestrebungen“ war die Umgestaltung der in §§ 274, 306 HGB geregelten Bilanzierung latenter Steuern. Diese hatte mit dem BiRiLiG 1985 in die handelsrechtliche Rechnungslegung Einzug gehalten.

Mit dem BilMoG erfolgte ein konzeptioneller Wechsel vom GuV-orientierten timing- zum bilanzorientierten temporary-Konzept . Seitdem sind im Zuge der Bilanzierung latenter Steuern nicht nur – wie bislang – zeitlich begrenzte Differenzen zu berücksichtigen, auch quasi-permanente Differenzen sowie erfolgsneutral entstandene Differenzen sind nun grds. mit Steuerlatenzen zu belegen. § 274 Abs. 1 Satz 2 HGB n. F. sieht – trotz langjähriger Kritik – auch nach dem BilMoG ein Aktivierungswahlrecht vor, sofern ein Überhang der aktiven über die passiven Steuerlatenzen vorliegt. Eine Ansatzpflicht besteht gem. § 274 Abs. 1 Satz 1 HGB n. F. weiterhin nur im Falle eines Passivüberhangs. Zudem wurde im Zuge des BilMoG erstmals eine Regelung zur Bilanzierung aktiver latenter Steuern auf steuerliche Verlustvorträge in § 274 Abs. 1 Satz 4 HGB n. F. geschaffen.

Motiv des vorliegenden Beitrags ist es, die Frage aufzugreifen, ob – wie in DRS 18 und im Schrifttum mehrheitlich angenommen – eine Bilanzierung latenter Steuern auf steuerliche Verlustvorträge trotz der in § 274 Abs. 1 Satz 4 HGB verankerten Fünfjahresgrenze de lege lata auch für steuerliche Verlustvorträge infrage kommt, die voraussichtlich erst nach dieser Frist genutzt werden. Zu diesem Zweck wird die gegenwärtige Rechtslage bezüglich der Aktivierung latenter Steuern auf steuerliche Verlustvorträge zunächst grundlegend skizziert. Im Anschluss werden einschlägige Argumente angeführt, die gegen die Mehrheitsauffassung in der hier behandelten Streitfrage sprechen. Im Fazit werden den Beteiligten praktische Handlungsempfehlungen ausgesprochen.S. 423