BGH Urteil v. - AnwZ (Brfg) 62/18

Syndikus: Keine Zulassung bei weisungsgebundener Tätigkeit

Leitsatz

Eine fachlich unabhängige Tätigkeit übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen.

Gesetze: BRAO § 46a, BRAO § 4, BRAO § 7, BRAO § 46 Abs. 2 bis 5, BRAO § 46a Abs. 1 Nr. 2, § 7 Nr. 8, BRAO § 46 Abs. 3, 4 , BRAO § 46 Abs. 3 , BRAO § 46 Abs. 4 Satz 2, BRAO § 112c Abs. 1 Satz 1, VwGO § 154 Abs. 1, VwGO § 162 Abs. 3 , BRAO § 194 Abs. 2 Satz 2

Instanzenzug: -

Tatbestand

1 Der Beigeladene wurde am als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Schreiben vom beantragte er bei der Beklagten die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für seine Tätigkeit bei der B. . Hierzu legte er einen Arbeitsvertrag vom , weitere Unterlagen zu seiner Bestellung als Team- und Sachgebietsleiter sowie Tätigkeitsbeschreibungen vom und vor. Die Beklagte ließ den Beigeladenen mit Bescheid vom für seine Tätigkeit bei der B. als Syndikusrechtsanwalt zu.

2 Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Nach seiner Auffassung erfüllt der Beigeladene die Voraussetzungen für eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt gemäß §§ 46, 46a BRAO. Sein Arbeitsverhältnis werde, wie sich aus den Tätigkeitsbeschreibungen vom und ergebe, durch fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübende Tätigkeiten sowie durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO aufgeführten Merkmale geprägt. Soweit die Klage auf Arbeitsanweisungen zu Fragen des Sozialversicherungsrechts hinweise, sei dies unerheblich, da allein die individuell vereinbarte Tätigkeitsbeschreibung entscheidend sei. Ein Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst sei mit der Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwalts - mit Einschränkungen - vereinbar. Auf der Grundlage der Erklärungen des Beigeladenen in seiner Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof werde er nicht als Repräsentant einer staatlichen Stelle, sondern als unabhängiger Vertreter wahrgenommen. Insbesondere sei er nicht hoheitlich tätig.

3 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf vom aufzuheben.

4 Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom , Az. 1 AGH 47/17, zurückzuweisen.

5 Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

6 Der Senat hat den Beigeladenen angehört

Gründe

I.

7 Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

8 1. Gemäß § 46a BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt auf Antrag zu erteilen, wenn die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO erfüllt sind, kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 BRAO vorliegt und die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht.

9 2. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Zulassungsantrages des Beigeladenen nicht gegeben.

10 a) Der Beigeladene erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für den Zugang zur Rechtsanwaltschaft. Er hat die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt (§ 4 BRAO).

11 b) Es kann offenbleiben, ob - wie die Klägerin meint - der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46a Abs. 1 Nr. 2, § 7 Nr. 8 BRAO bereits entgegensteht, dass der Beigeladene teilweise eine hoheitliche Tätigkeit ausübt (vgl. hierzu zuletzt Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 36/18, juris Rn. 10 mwN). Denn die Zulassung scheitert jedenfalls daran, dass nicht von einer fachlich unabhängigen und eigenverantwortlichen Ausübung der Tätigkeit i.S.v. § 46 Abs. 3 und 4 BRAO durch den Beigeladenen ausgegangen werden kann.

12 aa) Gemäß § 46 Abs. 3 und 4 BRAO muss der Syndikusrechtsanwalt die in § 46 Abs. 3 BRAO genannten Tätigkeiten fachlich unabhängig und eigenverantwortlich ausüben. Eine fachlich unabhängige Tätigkeit übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung des Syndikusrechtsanwalts ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten. Im Rahmen der Rechtsberatung und Rechtsvertretung ist der Syndikusrechtsanwalt in erster Linie den Pflichten der Bundesrechtsanwaltsordnung unterworfen, hinter denen die arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnisse des Arbeitgebers zurückzustehen haben (BT-Drucks. 18/5201, S. 26 zu § 46 Abs. 2 BRAO-E).

13 Die fachliche Unabhängigkeit eines Syndikusrechtsanwalts kann durch arbeitsrechtlich relevante Regelungen zur Auslegung der Rechtslage, deren Inhalt und Dichte vom Arbeitgeber - ähnlich einer allgemeinen Weisung - einseitig bestimmt werden, beeinträchtigt werden (Senat, Urteile vom - AnwZ (Brfg) 38/18, NJW 2019, 3644 Rn. 37 und vom - AnwZ (Brfg) 68/17, NJW 2018, 3712 Rn. 33; Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 15/17, NJW-RR 2018, 827 Rn. 12 und vom - AnwZ (Brfg) 14/17, NJW 2017, 2835 Rn. 12; siehe zur fehlenden unabhängigen Tätigkeit eines richtliniengebundenen Schadenssachbearbeiters auch BT-Drucks. 18/5201 S. 27, 29). Hiervon sind nach dem Willen des Gesetzgebers ausgenommen Regelungen, die - wie zum Beispiel unternehmensinterne Compliance-Vorschriften - keinen unmittelbaren fachlichen Bezug aufweisen, sondern lediglich den Verhaltenskodex im Unternehmen festschreiben (vgl. BT-Drucks. aaO S. 27, 29; Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 15/17 aaO).

14 bb) Vorliegend ist die fachliche Unabhängigkeit des Beigeladenen zwar vertraglich gewährleistet. Denn er unterliegt nach Ziffer II der von ihm und seiner Arbeitgeberin unterzeichneten Tätigkeitsbeschreibung vom keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen in fachlichen Angelegenheiten, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung beeinträchtigen. Ihm gegenüber bestehen danach keine Vorgaben zur Art und Weise der Bearbeitung und Bewertung bestimmter Rechtsfragen. Nach Ziffer V der Tätigkeitsbeschreibung werden diese Angaben Bestandteil des Arbeitsvertrages des Beigeladenen. Eventuelle anderslautende Bestimmungen zu seiner Weisungsgebundenheit werden bezogen auf die anwaltliche Tätigkeit aufgehoben.

15 cc) Nach § 46 Abs. 4 Satz 2 BRAO ist allerdings, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung auch tatsächlich zu gewährleisten. Insoweit ist erforderlich, dass die fachliche Unabhängigkeit im Rahmen des Anstellungsverhältnisses tatsächlich gelebt wird (vgl. BT-Drucks. aaO S. 29; Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 79/18, NJW-RR 2019, 829 Rn. 7).

16 Der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, dass der Beigeladene die in § 46 Abs. 3 BRAO genannten Tätigkeiten tatsächlich weisungsfrei ausübt, wofür er die materielle Beweislast trägt (zur materiellen Beweislast vgl. BVerwGE 109, 174, 180). Eine solche Überzeugungsbildung war insbesondere nicht mittels der Bekundungen des Beigeladenen in seiner Anhörung vor dem Senat und vor dem Anwaltsgerichtshof möglich.

17 Der Beigeladene hat sich in seiner Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof dahingehend geäußert, es gebe bei seiner Arbeitgeberin allgemeine und besondere Arbeitsanweisungen, die auch für ihn verbindlich seien. Sie seien wie Kommentare zu Gesetzen zu verstehen und bestünden darin, die für die jeweilige Frage einschlägigen Gesetze anzuwenden. Diese Bekundungen legen eine Weisungsgebundenheit und mangelnde fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Beigeladenen nahe.

18 In der Berufungsverhandlung hat ihn der Senat daher erneut und umfassend zu den im Unternehmen seiner Arbeitgeberin geltenden Arbeitsanweisungen und deren Geltung sowie Verbindlichkeit für seine Tätigkeit befragt. Die daraufhin erfolgten Angaben des Beigeladenen haben die durch seine Äußerungen vor dem Anwaltsgerichtshof geweckten Zweifel an der fachlichen Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit seiner Tätigkeit nicht beseitigt, sondern bestärkt.

19 (1) Der Beigeladene hat zunächst zu Art und Inhalt der Arbeitsanweisungen ausgeführt, er sei an der Erstellung der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Arbeitsanweisungen beteiligt. Es gebe aber auch Arbeitsanweisungen für andere Rechtsgebiete, wie etwa für das materielle Sozialrecht. Inhaltlich handele es sich um die Darstellung der jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Arbeitsanweisungen seien eine Art Kommentar oder auch Lehrbuch. Darin würden die relevanten Arbeitsabläufe praxisnah und mit Fallbeispielen erläutert. So würden Fallgruppen beschrieben, korrekte Rechtsbehelfsbelehrungen formuliert und kundenorientiert gefasst, die rechtlichen Anforderungen an das Krankengeld dargelegt und Fristenregelungen des Sozialrechts ausgelegt sowie hierzu Berechnungen angestellt.

20 Danach handelt es sich bei den Arbeitsanweisungen inhaltlich keineswegs nur um Bestimmungen, mittels derer lediglich das geltende Gesetzesrecht wiedergegeben wird, an das die Arbeitgeberin des Beigeladenen gebunden ist und das der Beigeladene - ohne Beeinträchtigung seiner fachlichen Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit - bei der Ausübung seiner Tätigkeit zu beachten hat (vgl. hierzu Senat, Urteile vom - AnwZ (Brfg) 38/18 und vom - AnwZ (Brfg) 68/17; jew. aaO). Vielmehr regeln die Arbeitsanweisungen die Anwendung des Gesetzes unter anderem mittels der Beschreibung von Arbeitsabläufen und konkreter Fallgruppen sowie mittels Vorschriften zur Auslegung gesetzlicher (Frist-)Bestimmungen. Damit gehen sie weit über die bloße Darstellung des Gesetzesrechts hinaus und können im Falle ihrer Verbindlichkeit die fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit eines im Unternehmen der Arbeitgeberin des Beigeladenen tätigen Juristen beeinträchtigen.

21 (2) Zu seiner Bindung an die Arbeitsanweisungen hat der Beigeladene in seiner Anhörung durch den Senat unterschiedliche Angaben getätigt. So hat er zunächst spontan bekundet, er sei an die Anweisungen gebunden. Auch im Rahmen der Darstellung des Inhalts der Arbeitsanweisungen hat er sich erneut dahingehend geäußert, er sei an die darin enthaltenen Fallgruppenbeschreibungen gebunden. Über Abweichungen entscheide sein Abteilungsleiter, der für seinen Bereich die Verantwortung für den Inhalt der entsprechenden Arbeitsanweisungen trage.

22 Im weiteren Verlauf der Anhörung hat der Beigeladene seine Äußerungen dahingehend revidiert, bei den Arbeitsanweisungen handele es sich eher um eine Art Rechtsauffassung. Sie spielten für seine Tätigkeit keine bedeutende Rolle, da sie im Wesentlichen für die Praxis, das heißt für die Fachzentren, bestimmt seien. Zudem sei er nur beratend tätig. Er berate die bei seiner Arbeitgeberin eingerichteten Widerspruchsausschüsse lediglich im Hinblick darauf, wie der betreffende Sachverhalt rechtlich einzuordnen sei. Empfehlungen gebe er nicht ab. Kurz darauf hat er sich dahingehend korrigiert, dass er gegenüber den Widerspruchsausschüssen Empfehlungen abgebe. Dabei könne er von den Arbeitsanweisungen abweichen. Es handele sich um einen offenen Beratungsauftrag.

23 (3) Auf der Grundlage dieser Bekundungen des Beigeladenen vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass der Beigeladene seine Tätigkeit fachlich unabhängig und eigenverantwortlich, das heißt frei von fachlichen Weisungen ausübt. Bei den im Unternehmen seiner Arbeitgeberin geltenden Arbeitsanweisungen handelt es sich ihrem Inhalt nach um fachliche Vorgaben für die Fallbearbeitung in der Praxis. Damit sind sie zwar primär für diejenigen Stellen von Bedeutung, die im Rahmen der zu bearbeitenden Fälle und Sachverhalte Entscheidungen zu treffen haben, sei es in Gestalt von Ausgangsbescheiden, sei es in Gestalt von Abhilfe- und Widerspruchsbescheiden. Es ist jedoch der Beigeladene, der nach seinen Bekundungen die entsprechenden Stellen, das heißt die Fachzentren im Fall der Abhilfebescheide und die Widerspruchsausschüsse im Fall der Widerspruchsbescheide, berät. Dementsprechend müssen - entgegen seiner Darstellung - die Arbeitsanweisungen auch für seine Beratungstätigkeit von erheblicher Bedeutung sein. Dass sie etwa für die Fachzentren maßgebend sind, für ihn bei deren Beratung aber keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist schwer vorstellbar.

24 Im Hinblick auf die - vorliegend entscheidende - Frage, ob die Arbeitsanweisungen (auch) für ihn verbindlich sind, waren die Bekundungen des Beigeladenen nur schwer nachvollziehbar und widersprüchlich. So hat er zunächst spontan und in Übereinstimmung mit seinen vor dem Anwaltsgerichtshof getätigten Äußerungen eine solche Verbindlichkeit bejaht. Dies hat er später revidiert und die Arbeitsanweisungen als eine Art Rechtsauffassung bezeichnet. Ein solcher Charakter ist indes weder mit dem Begriff der (Arbeits-)Anweisung vereinbar noch mit der zuvor seitens des Beigeladenen in seiner Anhörung vor dem Senat und dem Anwaltsgerichtshof getätigten Darstellung, die Arbeitsanweisungen seien für ihn verbindlich.

25 Auch im Übrigen waren die Bekundungen des Beigeladenen nicht frei von Widersprüchen. Dies gilt etwa im Hinblick auf seine beratende Tätigkeit für die bei seiner Arbeitgeberin eingerichteten Widerspruchsausschüsse. So hat er zunächst verneint, dass er diesen gegenüber Empfehlungen abgebe. Kurz darauf hat er solche Empfehlungen bejaht.

26 Konnte sich der Senat nach alledem nicht davon überzeugen, welche der verschiedenen Darlegungen des Beigeladenen zutreffend sind, so führt dies dazu, dass von einer fachlich unabhängigen und eigenverantwortlichen Tätigkeit des Beigeladenden im Sinne von § 46 Abs. 3 und 4 BRAO als unverzichtbarer Voraussetzung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt nicht ausgegangen werden kann.

27 Dementsprechend waren auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Anwaltsgerichtshofs und der Bescheid der Beklagten vom aufzuheben.

II.

28 Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 2 BRAO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:021120UANWZ.BRFG.62.18.0

Fundstelle(n):
DStR 2021 S. 15 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2021 S. 17
KAAAH-68712