BGH Beschluss v. - 6 StR 399/20

Strafverfahren: Korrektur eines vom Sitzungsprotokoll abweichenden Urteilstenors durch das Revisionsgericht; Berücksichtigung ausländischer Verurteilungen im Rahmen der Strafzumessung

Gesetze: § 267 StPO, § 274 StPO, § 337 StPO, § 338 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, § 46 Abs 1 Nr 1 Buchst d BZRG

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 22 KLs 5/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten G.       ausweislich der Sitzungsniederschrift wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen „leichtfertiger Geldwäsche“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt; das schriftliche Urteil weist demgegenüber eine Verurteilung wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen (vorsätzlich begangener) „Geldwäsche“ in zwei Fällen aus. Den Angeklagten J.     hat das Landgericht wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Angeklagte G.       beanstandet zu Recht, dass die Urteilsformel anders verkündet worden sei, als in der Urteilsurkunde wiedergegeben. Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich allein aus der nach § 274 StPO maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 42/01, NStZ-RR 2002, 100; vom - 1 StR 529/12 Rn. 3 mwN). Der Senat stellt den Schuldspruch insoweit klar.

3a) Der Senat teilt die vom 3. Strafsenat (vgl. Rn. 3 f.) und vom 5. Strafsenat (vgl. Rn. 4 f.) vertretene Auffassung, wonach die Korrektur eines vom Sitzungsprotokoll abweichenden Urteilstenors in der Urteilsurkunde durch das Revisionsgericht eine ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge voraussetzt. Der Ansicht des 1. Strafsenats, dass die Übereinstimmung der protokollierten und der im schriftlichen Urteil enthaltenen Urteilsformel von Amts wegen zu prüfen sei, weil „die Existenz eines erstinstanzlichen Urteils und dessen Inhalt“ ebenso wie eine wirksame Anklageerhebung und ein wirksamer Eröffnungsbeschluss „gewissermaßen“ Verfahrensvoraussetzung für das Revisionsverfahren sei (vgl. , NStZ 2020, 371, 372; nicht tragend), vermag der Senat dagegen nicht zu folgen.

4b) Dem Revisionsvorbringen lässt sich eine entsprechende Verfahrensrüge entnehmen. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer die Divergenz zwischen dem ausweislich des Sitzungsprotokolls verkündeten und dem in der Urteilsurkunde wiedergegebenen Urteilstenor im Rahmen seiner Ausführungen zur Sachrüge beanstandet hat. Der Sache nach richtet er sich gegen das Verfahren, wie sich auch aus einer Bezugnahme auf sein Vorbringen zur Begründung der - erfolglosen - Verfahrensrüge ergibt, das Urteil sei nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden (§ 338 Nr. 7 StPO). Die Rüge ist ordnungsgemäß erhoben, weil sich die beanstandete Abweichung der in der Hauptverhandlung verkündeten von der in der Urteilsgründe wiedergegebenen Urteilsformel allein aufgrund des Rügevorbringens beurteilen lässt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

52. Die in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe gegen den Angeklagten G.     verhängten Strafen haben keinen Bestand. Das Landgericht hat der Strafzumessung nicht den gemäß § 261 Abs. 5 StGB eröffneten Strafrahmen zugrunde gelegt, wonach leichtfertige Geldwäsche mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist, sondern denjenigen des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB, der im Falle einer vorsätzlich begangenen Tat die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.

6Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf die Strafzumessung ausgewirkt hat.

7Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

83. Der Strafausspruch gegen den Angeklagten J.    hält rechtlicher Überprüfung insgesamt nicht stand. Das Landgericht hat jeweils strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte „zur Tatzeit mehrfach, unter anderem einschlägig vorbelastet“ war und dabei insbesondere auf fünf ausländische Verurteilungen abgestellt, die nach deutschem Recht tilgungsreif wären.

9Nach den Feststellungen wurde der seinerzeit noch jugendliche bzw. heranwachsende Angeklagte von September 1995 bis in Polen viermal zu Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr verurteilt, aus denen am eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten gebildet wurde. Der Angeklagte verbüßte davon sechs Monate; der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt und schließlich erlassen. Das nächste Strafurteil gegen ihn erging erst am .

10Das Landgericht hat bei der strafschärfenden Bewertung der ersten fünf Verurteilungen des Angeklagten berücksichtigt, dass der Angeklagte seinerzeit „Jugendlicher bzw. Heranwachsender“ war und nach deutschem Recht „Jugendstrafrecht anzuwenden gewesen wäre“. Es hat indes nicht bedacht, dass ausländische Verurteilungen nicht mehr verwertet werden dürfen, wenn sie nach deutschem Recht tilgungsreif wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 425/11, NStZ-RR 2012, 305; vom - 3 StR 588/14). Das wäre hier der Fall.

11Wenn am gegen den Angeklagten J.      eine Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt und die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, hätte die Tilgungsfrist gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d BZRG fünf Jahre betragen. Ein Fall der Fristverlängerung nach § 46 Abs. 3 BZRG hätte nicht vorgelegen. Der Ablauf der Frist wäre nicht gemäß § 47 Abs. 2 BZRG gehemmt gewesen, weil diese Vorschrift bei ausländischen Verurteilungen nicht anwendbar ist (vgl. BeckOK StPO/Bücherl, 38. Ed., BZRG § 47 Rn. 4). Auch die Eintragung der Verurteilung vom hätte keine Ablaufhemmung bewirkt, weil bereits Tilgungsreife eingetreten gewesen wäre (vgl. dazu BeckOK StPO/Bücherl, aaO Rn. 13).

124. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die jeweils zugehörigen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben, weil sie von den Rechtsfehlern nicht berührt sind (siehe § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:270121B6STR399.20.0

Fundstelle(n):
OAAAH-78273