Besitzen Sie diesen Inhalt bereits, melden Sie sich an.
oder schalten Sie Ihr Produkt zur digitalen Nutzung frei.

Dokumentvorschau
NWB-EV Nr. 6 vom Seite 194

Der Auslegungsvertrag

Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Tod

Dr. Michael Heuser und Benedikt Weber

Eine unklare Rechtsnachfolge von Todes wegen führt oftmals zu Unsicherheiten und gar Streit unter Familienangehörigen und potenziell Bedachten. Ursache hierfür sind regelmäßig mehrdeutige, mitunter widersprüchliche letztwillige Verfügungen von Todes wegen. Vor allem Testamente, die unter Ausschluss anwaltlicher oder notarieller Begleitung errichtet worden sind, lassen oftmals (zu viel) Raum für Spekulationen über den vermeintlich letzten Willen des Erblassers. Rechtsunsicherheiten können auch auf das Vorliegen mehrerer Verfügungen von Todes wegen und deren Zusammenspiel zurückzuführen sein oder durch wesentliche Veränderungen der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Testators nach Errichtung der letztwilligen Verfügung begründet werden. Inhaltliche Streitpunkte sind oftmals die Erbeinsetzung, die Erbquoten, die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft, die Abgrenzung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung oder der Umfang eines ausgesetzten Vermächtnisses. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick zum Gestaltungsmittel des Auslegungsvertrags und dessen steuerliche Implikationen.

Kernaussagen
  • Der Auslegungsvertrag ist ein geeignetes Gestaltungsmittel nach dem Tod des Erblassers, um langwierige gerichtliche Erbstreitigkeiten zu vermeiden.

  • Eine Erbenstellung kann durch einen Auslegungsvertrag nicht begründet werden, insbesondere steht sie nicht zur Disposition der Vertragsparteien eines Auslegungsvertrags. Die Erbenstellung ergibt sich aus dem Gesetz oder einer wirksamen Verfügung von Todes wegen.

  • Der Auslegungsvertrag ist für die Vertragsparteien bindend. Dritten gegenüber entfaltet der Auslegungsvertrag keine Bindungswirkung. Bei der Ermittlung des letzten Willens ist ein Gericht nicht an das in einer Auslegungsvereinbarung zwischen den Parteien festgestellte Auslegungsergebnis gebunden.

  • Ein Erbvergleich kann unter bestimmten Voraussetzungen auch erbschaftsteuerliche Anerkennung erfahren.

  • Werden Abfindungsvereinbarungen, bspw. an weichende Erbprätendenten gezahlt, unterliegen diese der Erbschaftsteuer.

I. Zulässige Inhalte von Verfügungen von Todes wegen

Um den Inhalt und die rechtlichen Grenzen eines Auslegungsvertrags verstehen zu können, müssen wesentliche Grundlagen zum zulässigen Inhalt von Verfügungen von Todes wegen sowie deren Auslegung im Auge behalten werden.

Möchte ein Erblasser letztwillig verfügen, ergeben sich durch das BGB hinsichtlich Umfang und Inhalt zulässiger Verfügungen von Todes wegen Beschränkungen. Es besteht ein sogenannter „Typenzwang“. Ein Erblasser kann nur solche Arten von Verfügungen von Todes wegen treffen, die sich aus dem Gesetz ableiten lassen. Dazu gehören u. a.

1. Persönliche Erbeinsetzung

Ein Erblasser kann durch eine Verfügung von Todes wegen seinen bzw. seine Erben gemäß § 1937 BGB bestimmen. Das BGB kennt mit dem Testament, dem gemeinschaftlichen Testament und dem Erbvertrag grundsätzlich drei verschiedene Gestaltungsformen, mit denen der Erblasser seinen letzten Willen zum Ausdruck bringen kann. Zur Wahrung S. 195der Testierfreiheit muss ein Erblasser eine letztwillige Verfügung von Todes wegen persönlich errichten. Er muss sich zwingend selbst mit dem Inhalt aller wesentlicher Teile seiner letztwilligen Verfügung auseinandersetzen. Folgerichtig ist es dem Erblasser gemäß § 2065 Abs. 1 BGB nicht gestattet, eine letztwillige Verfügung in der Weise zu treffen, dass ein anderer zu bestimmen hat, ob die Verfügung gelten soll oder nicht. Gleichsam kann ein Erblasser einem anderen auch nicht die Bestimmung einer Person, die eine Zuwendung erhalten soll, sowie die Bestimmung des Zuwendungsgegenstands überlassen. Letztlich soll sich ein Erblasser durch die Einbeziehung eines anderen seiner eigenen Verantwortung nicht entziehen können, die er mit der Abänderung der gesetzlichen Erbfolge eingeht.

2. Bestimmungsrechte Dritter

a) Vermächtnisse

Anders als bei der Erbeinsetzung können Dritten wesentliche Entscheidungsbefugnisse bei der Aussetzung von Vermächtnissen durch den Erblasser übertragen werden. Ein in der Gestaltungspraxis sehr gängiges Gestaltungsinstrument ist das sogenannte „Supervermächtnis“ in einem Berliner Testament. Der zuerst versterbende Ehegatte setzt ein Vermächtnis aus, das den Personenkreis des Empfängers und den Zweck des Vermächtnisses gemäß § 2156 BGB bestimmt. Dem länger lebenden Ehegatten wird das Recht eingeräumt, den Empfänger des Vermächtnisses aus dem festgelegten Personenkreis gemäß § 2153 BGB sowie die Art und exakte Höhe des Vermächtnisgegenstands gemäß § 2154 BGB festzulegen. Regelmäßig wird in das Belieben des länger lebenden Ehegatten auch der Zeitpunkt der Erfüllung des Vermächtnisses gemäß § 2181 BGB gestellt. Steuerlich steht in der Gestaltung des Supervermächtnisses die Möglichkeit im Fokus, Freibeträge nach dem zuerst versterbenden Ehegatten auszunutzen.

b) Zulässigkeit von Potestativbedingungen

Darüber hinaus ist es anerkannt, dass der Erblasser auch im Hinblick auf die Erbeinsetzung letztwillig sowohl aufschiebend als auch auflösend bedingt verfügen kann. Zulässig ist es, dass der Erblasser Ereignisse zur Bedingung macht, deren Eintritt vom Willen des Bedachten oder eines Dritten abhängt (sogenannte Potestativbedingung). Hierbei darf die Bedingung letztlich nicht zu einer Willensvertretung führen.

Beispiel 1

Um eine unzulässige Potestativbedingung in einer letztwilligen Verfügung handelt es sich bspw. bei einer letztwilligen Verfügung: „A wird mein Alleinerbe, wenn B innerhalb von drei Monaten nach meinem Ableben seine Zustimmung in Schriftform gegenüber A erklärt“.

Zulässig sind daher nur Potestativbedingungen, bei denen der Erblasser seinen Willen vollständig gebildet hat und in seine Überlegungen das mögliche, wenn auch willensabhängige künftige Ereignis einbezogen hat. Es muss also dieses Ereignis allein genommen für den Entschluss des Erblassers und seine Vorstellungen Bedeutung haben, nicht lediglich der darin zum Ausdruck kommende Wille des Dritten als solcher. Die Grenzziehung zwischen einer noch zulässigen Potestativbedingung und einer unzulässigen Willensvertretung ist mitunter schwierig zu beurteilen. So hatte das OLG Hamm bspw. eine Klausel, mit der ein Erblasser zu seinen Ersatzerben i. S. des § 2096 BGB diejenigen Personen berufen hatte, die gewillkürte Rechtsnachfolger des von ihm eingesetzten Erben werden, als noch zulässig beurteilt, da der Erblasser damit selbst die erforderliche Bestimmung seines (Ersatz-)Erben getroffen habe. Das OLG Frankfurt hat demgegenüber im Jahr 1999 entschieden, dass eine Nacherbeinsetzung der gewillkürten Erben eines Vorerben mit § 2065 Abs. 2 BGB nicht vereinbar sei.