BFH Urteil v. - IV R 63/00 BStBl 2002 II S. 679

Leitsatz

1. Die Doppelfunktion des Verspätungszuschlags als Sanktion einer Pflichtverletzung und als in die Zukunft gerichtete Prävention kann bei der Bemessung dieses Druckmittels in unterschiedlichem Maße von Bedeutung sein. Jedenfalls wird die verspätete Abgabe der Steuererklärung nicht dadurch entschuldbar, dass das FA seinerseits die Steuerfestsetzung dann nicht zeitnah (nach Eingang der Erklärung) durchführt.

2. Ein Verspätungszuschlag kann auch in Erstattungsfällen festgesetzt werden. Beruht die Erstattung jedoch auf einer Steuerfestsetzung von Null (DM/Euro), so ist dieses Druckmittel von Gesetzes wegen ausgeschlossen.

Gesetze: AO 1977 § 152 Abs. 1 und 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde im Streitjahr 1996 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte Einkünfte als Inhaber der Firma "A". Auf Antrag des steuerlichen Beraters und Prozessbevollmächtigten des Klägers gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärung für das Streitjahr 1996 bis zum . Am reichten der Kläger und seine Ehefrau ihre Einkommensteuererklärung 1996 beim FA ein, nachdem das FA mit Verfügung vom zur Abgabe der Erklärung aufgefordert und ein Zwangsgeld angedroht hatte.

Die Einkommensteuerveranlagung führte mit Bescheid vom zu einer Einkommensteuerfestsetzung von 9 280 DM und zu einer Erstattung von 12 889 DM. Zu Gunsten des Klägers und seiner Ehefrau wurden Erstattungszinsen von 384 DM für den Zeitraum vom bis festgesetzt. Mit gesondertem Bescheid vom setzte das FA einen Verspätungszuschlag in Höhe von 300 DM fest.

Einspruch und Klage, mit denen beide Ehegatten geltend gemacht hatten, der Verspätungszuschlag sei wegen der langen Bearbeitungsdauer nicht angemessen und in Erstattungsfällen nicht zulässig, hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in juris veröffentlicht.

Mit seiner dagegen gerichteten, vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er trägt vor: Der Verspätungszuschlag sei nicht gerechtfertigt, weil die Bearbeitungszeit beim FA die Säumnis um 15 Tage überschritten habe. In einem solchen Fall seien die Erklärungen für das Veranlagungsgeschäft eben doch noch rechtzeitig abgegeben worden. Auch der Höhe nach habe das FA sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil es weder von einer Abstufung ausgegangen sei noch einen zutreffenden Zahlungsanspruch zu Grunde gelegt habe. Zahlungsanspruch sei nur der noch nicht erfüllte Zahlungsanspruch. Deshalb sei die Festsetzung eines Verspätungszuschlags unzulässig, wenn die verspätete Abgabe der Erklärung zu einer Steuerfestsetzung von 0 DM führe (, BFHE 158, 103, BStBl II 1989, 955, und VIII R 356/83, BFH/NV 1990, 145).

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Festsetzung des Verspätungszuschlags aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat den gegen den Kläger und seine Ehefrau festgesetzten Verspätungszuschlag dem Grunde und der Höhe nach zu Recht als rechtmäßig angesehen.

1. Nach § 152 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden (Satz 1). Von einer solchen Festsetzung ist abzusehen, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint (Satz 2). Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich (Satz 3).

Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen sicherzustellen und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer zu gewährleisten. Als Druckmittel eigener Art, das auf die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts zugeschnitten ist, hat er insoweit zugleich repressiven und präventiven Charakter (s. Regierungsbegründung, BTDrucks VI/1982, 129, zu § 97 AO 1977; vgl. ferner Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 152 AO 1977 Tz. 2 und Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 152 AO 1977 Rz. 3). Der doppelten Funktion des Verspätungszuschlags (Prävention und Sanktion) entsprechend sind nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 bei seiner Bemessung neben dem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, auch die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Dabei ist nach Einführung der Vollverzinsung (§ 233a AO 1977) die dadurch eintretende Abschöpfung des Zinsvorteils zu berücksichtigen (Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 4; Trzaskalik, a.a.O., Rz. 7).

2. Die angefochtene Festsetzung entspricht diesen Maßstäben.

a) Der Kläger und seine Ehefrau haben die ihnen vom FA über die allgemeine Fristverlängerung bis hinaus eingeräumte Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 1996 bis zum nicht eingehalten (vgl. gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom , BStBl I 1997, 125). Die Möglichkeit, von der Festsetzung eines Verspätungszuschlages abzusehen, kam im Streitfall nicht in Betracht, da Gründe, die das Versäumnis entschuldbar erscheinen ließen, vom FG nicht festgestellt worden sind (vgl. zuletzt Senatsurteil vom IV R 29/00, BFHE 196, 392, BStBl II 2002, 120, m.w.N.).

b) Auch der Höhe nach ist die Festsetzung nicht zu beanstanden. Der mit 300 DM festgesetzte Verspätungszuschlag überschreitet weder die in § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 festgelegte 10 v.H.- Grenze noch den dort bezeichneten absoluten Betrag. Bei der Bemessung des Verspätungszuschlags hat das FA, dem Zweck der Ermächtigung entsprechend, dem Umstand Rechnung getragen, dass die Steuererklärungen in der Vergangenheit wiederholt verspätet eingereicht worden waren. Unabhängig von den aus der Verspätung etwa gezogenen Vorteilen schien es dem FA daher geboten, Zuschläge in einer Höhe festzusetzen, die den Kläger und seine Ehefrau unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit künftig zu einer fristgerechten Abgabe ihrer Steuererklärungen anhalten sollten. Wenn das FA dabei davon ausging, dass ein geringerer Verspätungszuschlag seinen Zweck als wirksames Druckmittel verfehlen würde, so ist dies jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft.

3. Der Kläger kann hiergegen weder mit Erfolg einwenden, die Steuererklärung sei rechtzeitig eingereicht worden, wenn die Bearbeitungszeit des FA die Säumnis überschreite, noch kann er sich auf einen Ermessensfehler bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags berufen, weil die Steuerfestsetzung zu einer Erstattung geführt habe.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers führt der Umstand, dass der Zeitraum für die Bearbeitung der Steuererklärung durch das FA das Fristversäumnis des Klägers und seiner Ehefrau um 15 Tage überschritt, nicht dazu, die Abgabe der Erklärung doch noch als rechtzeitig anzusehen. Der XI. Senat des BFH hat hierzu im Urteil vom XI R 41/00 (BFHE 196, 408, BStBl II 2002, 124) entschieden, dass der Steuerpflichtige kein an den Bearbeitungsstand des FA gekoppeltes Recht zur Nichtabgabe der Steuererklärung hat. Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung und der dazu gegebenen Begründung auch im Streitfall an. Wie der XI. Senat (in BFHE 196, 408, BStBl II 2002, 124) allerdings weiter ausgeführt hat, kann der Umstand, ob durch die verspätete Abgabe der Erklärung das laufende Veranlagungsgeschäft gestört worden ist, im Rahmen der Ermessensausübung als eines von mehreren anderen Kriterien angemessen berücksichtigt werden. Dieses Merkmal ist aber nur für das Ausmaß der begangenen Pflichtverletzung von Bedeutung; der präventive Charakter des Verspätungszuschlags und damit auch seine Bedeutung für das künftige Abgabeverhalten bleiben davon unberührt (BFH in BFHE 196, 408, BStBl II 2002, 124 unter Hinweis auf , BFHE 195, 558, BStBl II 2001, 618). Dies übersieht der Kläger, wenn er sich insoweit auf Tipke (in Tipke/Kruse, a.a.O., § 152 AO 1977 Tz. 24 f.) beruft. Im Übrigen geht auch Tipke bei Darstellung der Ermessensgrenzen nicht vom Zahlungsanspruch, sondern - wie dies § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 vorsieht - von der festgesetzten Steuer aus (Tipke/Kruse, a.a.O., § 152 AO 1977 Tz. 32). Im Streitfall hat auch das FA der Störung der Veranlagungsarbeiten im Rahmen seiner Ermessensausübung keine besondere Bedeutung beigemessen, sondern vor allem den präventiven Zweck des Verspätungszuschlags in den Vordergrund gestellt.

b) Zu Unrecht beruft sich der Kläger schließlich auf die Entscheidungen des VIII. Senats des BFH, der die Festsetzung eines Verspätungszuschlags für unzulässig erklärt hat, wenn die Steuer auf 0 DM festgesetzt wird (Urteile in BFHE 158, 103, BStBl II 1989, 955, und in BFH/NV 1990, 145). Demgegenüber hat der BFH wiederholt entschieden, dass auch in Erstattungsfällen ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden kann (Beschlüsse des , BFH/NV 1997, 731, und vom IV B 3/97, BFH/NV 1998, 1243; s. auch das , BFH/NV 1988, 282, das stillschweigend von der Zulässigkeit eines Verspätungszuschlags in einem Erstattungsfall ausgeht). Aus der Unzulässigkeit eines Verspätungszuschlags in Fällen der Nullfestsetzung folgt aber keineswegs zwingend auch die Unzulässigkeit im Erstattungsfall, sofern - ebenso wie im Streitfall - nur überhaupt eine Steuer festgesetzt worden ist. Allein darauf aber stellt § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ab. Insoweit vermag der Senat der Auffassung von Brockmeyer (in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 152 AO 1977 Rz. 9) nicht zu folgen.

Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 679
BB 2002 S. 2058 Nr. 40
BFH/NV 2002 S. 1507 Nr. 11
BFHE S. 399 Nr. 198
BStBl II 2002 S. 679 Nr. 18
DB 2002 S. 2029 Nr. 39
DStRE 2002 S. 1265 Nr. 20
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