BFH Beschluss v. - V B 73/01 BStBl 2004 II S. 343

Leitsatz

1. Eine bei unberechtigtem Steuerausweis in einer Rechnung gemäß § 14 Abs. 3 UStG entstandene Steuer ist nach § 227 AO 1977 (zwingend) wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, soweit der von dem Rechnungsempfänger in Anspruch genommene Vorsteuerabzug rückgängig gemacht und der entsprechende Betrag an den Fiskus tatsächlich zurückgezahlt worden ist (vgl. , BFHE 194, 517).

2. Der Gesichtspunkt der Erlassunwürdigkeit des Steuerpflichtigen spielt insoweit keine Rolle. Er kann nur bei der Prüfung eines Erlasses aus persönlichen Billigkeitsgründen Bedeutung haben.

Gesetze: AO 1977 § 227AO 1977 UStG § 14 Abs. 3AO 1977 FGO § 76 Abs. 1AO 1977 § 115 Abs. 2 Nr. 3AO 1977 § 116 Abs. 6

Instanzenzug: FG Nürnberg

Tatbestand

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb bis 1996 den An- und Verkauf von Containern. Er erteilte in den Jahren 1989 bis 1994 (Streitjahre) an verschiedene Unternehmen Gefälligkeitsrechnungen mit darin unberechtigt ausgewiesener und nicht angemeldeter Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1 019 643,87 DM.

Aus der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) gemäß § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) festgesetzten Umsatzsteuerschuld für die betreffenden Gefälligkeitsrechnungen verblieb nach Verrechnung mit anderen Steuererstattungsbeträgen eine Umsatzsteuer-Zahllast in Höhe von 846 185,75 DM. Für diesen Betrag und die darauf entfallenden Nebenleistungen an Zinsen und Säumniszuschlägen beantragte der Kläger Erlass aus sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen, den das FA mit Bescheid vom ablehnte.

Während des Einspruchsverfahrens wurde der Kläger vom Landgericht X wegen dieser Vorgänge durch rechtskräftiges Urteil vom wegen Umsatzsteuerhinterziehung in 10 Fällen zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Durch Einspruchsentscheidung vom wies das FA den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Auch seine Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) stellte fest, dass der aus den Gefälligkeitsrechnungen an die A-GmbH, B-GmbH und C-GmbH ausgezahlte Vorsteuerbetrag zurückerstattet worden sei; die geänderten Umsatzsteuerbescheide für die A-GmbH und B-GmbH seien jedoch noch angefochten. Die Vorsteuerrückforderung bezüglich der D-GmbH und E-GmbH sei noch nicht abgeschlossen. Die F-GmbH habe die Vorsteuerrückforderung per Scheck bezahlt.

Aufgrund dieser Feststellungen kam das FG zu dem Ergebnis, eine Billigkeitsregelung aus sachlichen Gründen komme im Streitfall nicht in Betracht, weil die durch Ausstellung der Gefälligkeitsrechnungen entstandene Gefährdungslage noch nicht beseitigt worden sei (Urteil S. 10).

Eine persönliche Erlassbedürftigkeit könne im Streitfall nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger sei jedoch nicht erlasswürdig, weil er durch die Ausgabe der Gefälligkeitsrechnungen in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen habe und zudem weitere Gefälligkeitsrechnungen verschwiegen habe.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderten eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH), weil das FG-Urteil in Widerspruch zur Entscheidung des (BFHE 194, 506) stehe. Zudem begehrt er die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (Verletzung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung und Nichtgewährung rechtlichen Gehörs).

Gründe

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Es liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, auf dem die Vorentscheidung beruhen kann.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats sind gemäß § 14 Abs. 3 entstandene Umsatzsteuern nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, soweit der von den einzelnen Rechnungsempfängern in Anspruch genommene Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden ist und die entsprechenden Beträge an den Fiskus tatsächlich zurückgezahlt worden sind (vgl. , BFHE 194, 517, unter II. 3. b).

Ob diese Voraussetzungen im Streitfall gegeben sind, hat das FG entgegen seiner Pflicht zur Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 FGO nicht hinreichend aufgeklärt. Dies hat der Kläger entsprechend den Begründungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO im Einzelnen zutreffend in der Beschwerdebegründung dargelegt. Da das FG festgestellt hatte, dass ein Großteil der von den Rechnungsempfängern geltend gemachten Vorsteuerbeträge zurückgezahlt worden war, durfte es den Fortbestand einer Gefährdungslage nicht ohne weiteres mit der Begründung bejahen, die entsprechenden Vorsteuerrückforderungsbescheide seien noch nicht bestands- bzw. rechtskräftig. Die Rückzahlung der Vorsteuerbeträge durch die Rechnungsempfänger spricht vielmehr dafür, dass sich die Einsprüche nicht gegen die Rückforderung der Vorsteuerbeträge aus den Gefälligkeitsrechnungen des Klägers, sondern gegen andere Punkte richten. Jedenfalls hätte der Sachverhalt in dieser Richtung weiter aufgeklärt werden müssen.

2. Der Senat macht von seiner Befugnis nach § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG Gebrauch.

Im zweiten Rechtsgang wird das FG die erforderlichen Feststellungen nachholen müssen und auf dieser Grundlage nach Maßgabe der Grundsätze des BFH-Urteils in BFHE 194, 517 zu entscheiden haben, ob die Steuerrückstände des Klägers ganz oder - was bisher nicht geprüft wurde - teilweise wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind.

Soweit das FG einen - auch teilweisen - Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen deshalb verneint hat, weil der Kläger nicht erlasswürdig sei, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts X gegen den Kläger vom , die für eine Erlasswürdigkeit sprechen (vgl. S. 4, 9 und 10 des Urteils), bislang nicht berücksichtigt worden sind.

Überdies könnte eine etwaige Erlassunwürdigkeit des Klägers nur einem Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen entgegenstehen. Bei der Prüfung, ob ein Erlass aus sachlichen Gründen (wegen rechtzeitiger und vollständiger Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens) geboten ist, spielt dieser Gesichtspunkt dagegen keine Rolle (vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 517).

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 343
BB 2002 S. 1577 Nr. 31
BFH/NV 2002 S. 1072
BFH/NV 2002 S. 1072 Nr. 8
BFHE S. 71 Nr. 198
BStBl II 2004 S. 343 Nr. 8
DB 2002 S. 1422 Nr. 27
DStR 2002 S. 1218 Nr. 29
DStRE 2002 S. 983 Nr. 15
INF 2002 S. 568 Nr. 18
KÖSDI 2002 S. 13380 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2005 S. 4270
UR 2002 S. 428 Nr. 9
ZAAAA-97091