BFH Urteil v. - VIII R 21/02 BStBl 2004 II S. 555

Geldzuwendungen eines Dritten zum Vermögensaufbau rechnen nicht zu Bezügen eines Kindes

Leitsatz

Bei der Prüfung der Frage, ob Einkünfte und Bezüge eines volljährigen, in Ausbildung befindlichen Kindes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übersteigen, sind Geldzuwendungen von dritter Seite jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie zur Kapitalanlage bestimmt sind.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 2

Instanzenzug: (EFG 2002, 922) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog für die Zeit von Januar 2000 bis Juli 2000 Kindergeld für ihre beiden 1978 und 1981 geborenen Söhne. Beide Söhne befanden sich im Jahr 2000 in Schul- bzw. Berufsausbildung.

Im April 2000 erhielten die beiden Söhne von einer mit ihnen nicht verwandten Person je ein Geldgeschenk in Höhe von 20 295 DM. Das Geld war zur langfristigen Kapitalanlage bestimmt und sollte nach abgeschlossener Ausbildung als Starthilfe in das Berufsleben dienen. Dementsprechend haben die Söhne das Geld in Wertpapieren angelegt. Aus dieser Anlage bezogen sie im Jahr 2000 Zinsen in Höhe von jeweils 85,87 DM. Weiteres Vermögen und eigene Einkünfte hatten sie nicht.

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) von der Schenkung Kenntnis erhalten hatte, hob er die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom auf und forderte das für die Zeit ab Januar 2000 bis Juli 2000 ausbezahlte Kindergeld zurück. Er vertrat die Ansicht, dass die Geldgeschenke zu den Bezügen i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 2000 gehörten und der Grenzbetrag von 13 500 DM überschritten sei. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2002, 922).

Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Bei der Prüfung der Frage, ob die Söhne der Klägerin in der Lage waren, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2000), ist deren Vermögen nicht zu berücksichtigen.

1. Der erkennende Senat hat bereits in seinen zur Berücksichtigung des Vermögens behinderter Kinder ergangenen Urteilen ausgeführt, dass gegen die Einbeziehung des Kindesvermögens bei der Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vor allem der systematische Zusammenhang der Regelung mit § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG spreche (Urteile vom VIII R 17/02, BFHE 200, 219, BStBl II 2003, 88, und vom VIII R 51/01, BFHE 200, 212, BStBl II 2003, 91, jeweils unter II. 4. der Gründe; ebenso Urteil vom VIII R 66/01, BFH/NV 2003, 449, unter II. 5. der Gründe). Damit hat der Senat die im Streitfall zu beurteilende Frage bereits entschieden. Die Entscheidung beruht auf folgenden Erwägungen:

a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG werden nichtbehinderte Kinder einkommensteuerrechtlich nur berücksichtigt, wenn ihre „Einkünfte und Bezüge„ den gesetzlich bestimmten Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen. Aus dieser Regelung ergibt sich nichts dafür, dass auch das Kindesvermögen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Kindes am Maßstab des Jahresgrenzbetrages zu berücksichtigen ist. Die Einbeziehung des Vermögens in die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Kindes hätte einer klaren gesetzlichen Regelung bedurft, wie sie der Gesetzgeber für den Bereich der außergewöhnlichen Belastung in § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG getroffen hat.

Der systematische Zusammenhang, in dem § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit der für behinderte Kinder getroffenen Regelung steht, ergibt sich daraus, dass alle Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 EStG in gleicher Weise der einkommensteuerlichen Freistellung des Existenzminimums der Kinder bei den Eltern dienen. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist der für die Beurteilung der Belastungssituation der Eltern maßgebliche Grundtatbestand, dem der behinderungsbedingte oder —wie im Streitfall— der ausbildungsbedingte Mehrbedarf hinzuzurechnen ist.

b) Auch der systematische Zusammenhang, in dem § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit den allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts steht, spricht dafür, das Kindesvermögen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Kindes nicht zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sind nach dem Wortlaut der Vorschrift nur die Einkünfte und Bezüge, die das Kind „im Kalenderjahr hat„. Das bedeutet, dass nur diejenigen Einkünfte und Bezüge des Kindes zu erfassen sind, die ihm im Kalenderjahr zufließen (§ 11 Abs. 1 EStG, und dazu die , BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525; vom VIII R 57/00, BFHE 199, 194, BStBl II 2002, 746; vom VIII R 74/99, BFH/NV 2002, 1430). Der Einsatz eigenen Vermögens zum Unterhalt kann aber nicht davon abhängig gemacht werden, ob es dem Kind während des für den jeweiligen Grenzbetrag maßgeblichen Kalenderjahres anfällt oder bereits vor diesem Jahr vorhanden war.

c) Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass nach § 1602 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ein volljähriger Unterhaltsberechtigter zur Deckung seines Lebensbedarfs grundsätzlich eigenes Vermögen einsetzen muss; die Einschränkung des § 1602 Abs. 2 BGB, nach der bei minderjährigen unverheirateten Kindern das Vermögen außer Betracht zu bleiben hat, gilt bei volljährigen Kindern nicht (vgl. IV b ZR 49/82, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1984, 1813; vom XII ZR 20/96, NJW 1998, 978). Diese Regelung ist der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung nicht zugrunde zu legen.

aa) Die bürgerlich-rechtliche Belastung des Steuerpflichtigen durch Unterhaltspflichten ist für das Einkommensteuerrecht nicht maßgebend. Das gilt sowohl für die Anwendung des § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG 1990 (, BFHE 184, 315, BStBl II 1998, 241) als auch für die Anwendung des § 32 Abs. 4 EStG (BFH-Urteile in BFHE 200, 212, BStBl II 2003, 91, und in BFHE 200, 219, BStBl II 2003, 88, jeweils unter II. 4. a der Gründe).

bb) Für den Bereich des Kindergeldrechts hat der erkennende Senat zudem bereits in seinem Urteil vom VIII R 50/01 (BFHE 199, 105, BStBl II 2002, 575, unter 2. b der Gründe) entschieden, dass das Bestehen einer zivilrechtlichen Unterhaltspflicht nicht ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Kindergeldanspruchs ist. Vielmehr kann der Kindergeldanspruch zu bejahen sein, wenn eine Unterhaltspflicht nicht (mehr) besteht, und er kann zu verneinen sein, wenn nach Zivilrecht eine Unterhaltspflicht begründet wird. Es ist jeweils nach dem Zweck der kindergeldrechtlichen Regelung zu beurteilen, wie sich die Verhältnisse des Kindes auf die Belastungssituation der Eltern auswirken.

2. Der Nichtberücksichtigung des Kindesvermögens im Streitfall steht nicht entgegen, dass —laufende oder einmalige— Geldzuwendungen von dritter Seite, die den Unterhaltsbedarf des Kindes decken oder die Berufsausbildung sichern und damit die Eltern bei ihren Unterhaltsleistungen entlasten sollen, grundsätzlich zu den Bezügen i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gehören (so z.B. —für Halbwaisenrenten— Urteile vom VI R 52/98, BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489, und in BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525). Dieser Grundsatz gilt jedenfalls nicht, wenn die zugewendeten Geldbeträge zur Kapitalanlage bestimmt sind. So liegt der Fall hier.

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 555
BB 2004 S. 874 Nr. 16
BFH/NV 2004 S. 713 Nr. 5
BStBl II 2004 S. 555 Nr. 12
DB 2004 S. 966 Nr. 18
DStRE 2004 S. 563 Nr. 10
FR 2004 S. 665 Nr. 11
INF 2004 S. 366 Nr. 10
KÖSDI 2004 S. 14172 Nr. 5
StB 2004 S. 163 Nr. 5
PAAAB-20061