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FG München Urteil v. - 7 K 3543/09 EFG 2012 S. 1711 Nr. 18

Gesetze: AO § 125 Abs. 1, AO § 119 Abs. 1, AO § 122, AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, AO § 351 Abs. 1, AO § 367 Abs. 2

Bekanntgabewille des FA bei versehentlicher elektronischer Bescheidfreigabe

Verböserung bei Einspruch gegen Änderungsbescheid

Änderung wegen neuer Tatsachen bei endgültiger Veranlagung trotz bekannter Unvollständigkeit der erklärten Besteuerungsgrundlagen

Leitsatz

1. Die wirksame Bekanntgabe eines Bescheids durch eine Finanzbehörde setzt einen durch einen zuständigen, die Finanzbehörde repräsentierenden Bediensteten (z. B. Sachbearbeiter, Sachgebietsleiter, Vorsteher) gebildeten Bekanntgabewillen voraus. Für die Frage, ob ein zuständiger Bediensteter den Bekanntgabewillen gebildet hat, kommt es nicht darauf an, ob dieser aufgrund der behördeninternen Zuständigkeitsregelung für den betreffenden Fall zuständig war. Daher ist von einem Bekanntgabewillen und einer wirksamen Bekanntgabe auszugehen, wenn der Amtsvorsteher in seiner Eigenschaft als Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle bei der Bearbeitung eines Einspruchs für ein Vorjahr im EDV-System des FA versehentlich infolge Fahrlässigkeit durch Klicken auf die Schaltfläche „Schließen” nicht nur die vom Einspruch erfasste Veranlagung des Vorjahres, sondern auch die vom Veranlagungssachbearbeiter zwischengespeicherten, vom Einspruch nicht erfassten Einkommensteuerveranlagungsdaten des Streitjahres freigegeben, dadurch unabsichtlich einen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erlassen und den mangelnden Bekanntgabewillen dem Empfänger auch nicht vor Zugang des Bescheids mitgeteilt hat.

2. Hat das FA den unter 1. versehentlich erlassenen, tatsächlich aber wirksamen Bescheid später zu Unrecht als nichtig erklärt und gleichzeitig einen aus seiner Sicht erstmaligen Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassen, so ist dieser spätere Bescheid als Änderungsbescheid zu behandeln; im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen diesen Änderungsbescheid ist das FA bei Erfüllung der Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift (hier: neue Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) zu einer Verböserung berechtigt.

3. War dem FA bei Erlass eines Einkommensteuerbescheids aufgrund des Vorliegens von Veräußerungsanzeigen bekannt, dass die Klägerin im Streitjahr ein unbebautes Grundstück erworben, mit zwei Wohnungen bebaut und eine Wohnung im Streitjahr verkauft hat hat, konnte das FA aufgrund dieser Angaben aber nicht feststellen, ob und in welcher Höhe daraus steuerpflichtige Einkünfte entstanden sind und unter welche Einkunftsart diese ggf. zu subsumieren sind, und hat es gleichwohl eine endgültige Veranlagung ohne Ansatz von Einkünften aus dem Grundstücksgeschäft durchgeführt, so ist das FA trotz der fahrlässig unterbliebenen weiteren Sachverhaltsaufklärung später zu einer Änderung des bestandskräftigen Bescheids nach § 173 Abs.1 Nr. 1 AO und der nachträglichen Besteuerung des Grundstücksgeschäfts berechtigt, wenn die Steuerpflichtige ihrerseits hierzu in der Steuererklärung falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht hat und ihr deswegen ebenfalls eine erhebliche Pflichtverletzung anzulasten ist.

Fundstelle(n):
EFG 2012 S. 1711 Nr. 18
TAAAE-12827

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