Oberfinanzdirektion Karlsruhe - S 3000/23 /S 4606/2

Bedarfsbewertung; Korrekturmöglichkeiten nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO beim Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts nach § 198 BewG

Die Bewertung von Grundstücken für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer erfolgt nach den §§ 176 – 198 BewG. Weist der Steuerpflichtige jedoch nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist dieser Wert anzusetzen.

Als Nachweis ist regelmäßig ein Gutachten des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken erforderlich.

Außerdem kann ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag, bzw. ggf. auch ein außerhalb dieses Zeitraums, zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück als Nachweis dienen (R B 198 Abs. 3 und 4 ErbStR 2011).

Die Frage, ob die Voraussetzungen einer Änderung bestandskräftiger Feststellungsbescheide nach § 173 AO vorliegen, wenn der Stpfl. durch Nachweis eines Verkaufserlöses einen niedrigeren gemeinen Wert nachweist, wurde angesichts des Referatsbeschlusses AO 1/2001 bislang positiv beantwortet.

Mit (StE S. 537) hat das FG Baden-Württemberg jedoch eine andere Rechtsauffassung vertreten.

Dazu ergeben sich folgende Rechtsfragen:

  1. Ist eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich, wenn ein Gutachten erst nach Eintritt der Bestandskraft des Feststellungsbescheids erstellt bzw. vorgelegt wird?

  2. Ist eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich, wenn der Verkauf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erst nach Eintritt der Bestandskraft des Feststellungsbescheids erfolgt?

Stellungnahme:

  1. Der Stpfl. hat erst nach Eintritt der Bestandskraft ein Gutachten erstellen lassen bzw. er hat bereits vor Eintritt der Bestandskraft ein Gutachten erstellen lassen, legt das Gutachten aber erst nach Eintritt der Bestandskraft beim Finanzamt vor und beantragt ausgehend von dem hierdurch ermittelten Wert eine, Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO

Ein Gutachten, das erst nach Bestandskraft des Feststellungsbescheids in Auftrag gegeben wird, erfüllt nicht die Anforderungen an ein Beweismittel i. S. d. § 173 AO, denn das Gutachten war bei Erlass des Bescheides noch nicht vorhanden gewesen.

Ferner würde die Änderung in derartigen am groben Verschulden scheitern, welches regelmäßig anzunehmen ist, wenn der Stpfl. ausdrückliche Hinweise in den Vordrucken oder Merkblättern nicht beachtet (AEAO zu § 173 AO Rn. 5.1.2)

In der „Anlage Grundstück zur Feststellungserklärung“ (BBW 2/09) wird in der Zeile 109 abgefragt, ob der Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts durch Nachweis eines Gutachtens beantragt wird. Ferner enthält die „Anleitung zur Feststellung des Grundbesitzwerts“ (BBW 3/09) auf Seite 8 „Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts, zu Zeilen 109 bis 111“ entsprechende Hinweise.

Den Stpfl. wird daher regelmäßig grobes Verschulden daran treffen, dass er das Gutachten verspätet in Auftrag gegeben hat bzw. nicht wenigstens Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt hat, mit der Begründung, er werde ein Gutachten erstellen lassen.

In Fällen, in denen der Stpfl. das existente Gutachten erst verspätet vorlegt, würde dasselbe zwar die Voraussetzungen an ein Beweismittel i. S. d. § 173 AO erfüllen, denn es war bei Erlass des Bescheides bereits vorhanden und wird dem zuständigen Bearbeiter nachträglich bekannt. Die obigen Ausführungen zum groben Verschulden gelten jedoch entsprechend.

Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist folglich in beiden Fallvarianten ausgeschlossen.

2.

Das Grundstück wird im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erst nach Eintritt der Bestandskraft verkauft

Auf der AO 1/2001 haben die Referatsleiter AO beschlossen, dass die Voraussetzungen einer Änderung bestandskräftiger Feststellungsbescheide nach § 173 AO vorliegen, wenn der Stpfl. durch Nachweis eines Verkaufserlöses einen niedrigeren gemeinen Wert nachweist.

Zwar sei der Wert eines Gegenstandes keine Tatsache i. S. d § 173 AO, da er nur das Ergebnis von Schlussfolgerungen aus den wertbegründeten Eigenschaften ist. Diese wertbegründeten Eigenschaften seien ihrerseits aber derartige Tatsachen. Bei einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem Grundstückswert liegenden Kaufpreis sei der niedrigere Kaufpreis eine derartige wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert (Niederschrift vom  zu TOP 2 der AO 1/2001 vom 07. bis 09. März 2001).

Bei der Besprechung mit den Bewertungs- und Erbschaftsteuerreferenten der Oberfinanzdirektionen des Landes am in Stuttgart (Bew/ErbSt II/2001) haben die Besprechungsteilnehmer niedergelegt, dass entsprechend dem dargelegten Beschluss der AO-Referatsleiter verfahren werden soll (TOP 4 der Niederschrift Bew/Erbst II/2001).

Entsprechende Ausführungen finden sich auch in den Bew-Karteien des Bayrischen Staatsministeriums und der OFD Magdeburg.

Ferner hat das (EFG S. 1097 - 1100) entschieden, dass ein rund 14 Monate nach dem Besteuerungsstichtag im normalen Geschäftsverkehr zustande gekommener Kaufpreiserlös, mit dem ein niedriger Verkehrswert nachgewiesen wird, als neue Tatsache i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen sein kann.

Zwar waren im Urteilsfall weder das Sachverständigengutachten noch der Kaufvertrag als neue Beeismittel i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen, denn beide Urkunden sind bei Erlass des Bescheides noch nicht vorhanden gewesen. Beide Urkunden belegen aber nachträglich bekanntgewordene (neue) Tatsachen im Sinne der Änderungsvorschrift.

Denn bei einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten Grundstückswert liegenden Kaufpreis sei der niedrigere Kaufpreis eine wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert.

Obwohl der Verkauf noch innerhalb der Rechtsbehelfsfrist des Feststellungsbescheids erfolgte, hat das FG grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden wegen eines entschuldbaren Rechtsirrtums verneint, denn die Klägerin ging zunächst davon aus, dass ein Kaufvertrag, der außerhalb des 1-Jahreszeitraums zustande gekommen ist, keine Bedeutung beizumessen sei. Ein Hinweis auf die neue BFH-Rechtsprechung war zum damaligen Zeitpunkt nicht in der amtlichen Anleitung enthalten.

Das FG hatte die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen, da die Frage, ob ein rund 14 Monate nach dem Besteuerungsstichtag im normalen Geschäftsverkehr zustande gekommner Kaufpreiserlös, mit dem ein niedriger Verkehrswert nachgewiesen wird, als neue Tatsache i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen ist, noch nicht höchstrichterlich geklärt sei. Die Revision wurde jedoch nicht eingelegt, das Urteil ist rechtskräftig.

Eine andere Auffassung vertritt jedoch das (StE S. 537) hat das FG die Änderung nach § 173 Abs. 1 AO im Fall der Veräußerung nach Bestandskraft verneint.

Das FG führt aus, der gemeine Wert (Verkehrswert) der wirtschaftlichen Einheit selber als bloße Schlussfolgerung aus dem Kaufvertrag finde bei der Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO von vornherein keine Berücksichtigung.

Der Kaufvertrag hingegen sei zwar ein Beweismittel i. S. d. Vorschrift. Kommt derselbe jedoch erst nach Erlass des Feststellungsbescheides über den Wert des Grundstückes zustande, sei dieses Beweismittel nicht i. S. des § 173 AO nachträglich bekannt geworden.

In der Besprechung AO-Land 2013 am in Stuttgart sind die Teilnehmer zu folgendem Ergebnis gekommen:

  1. Ein nach Bestandskraft des Feststellungsbescheides erstelltes bzw. vorgelegtes Gutachten rechtfertigt eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht.

  2. Die Voraussetzungen einer Änderung bestandskräftiger Feststellungsbescheide nach § 173 AO liegen vor, wenn der Stpfl. durch Nachweis eines Verkaufserlöses einen niedrigeren gemeinen Wert nachweist. Der Referatsleiterbeschluss (TOP 2, AO 1/2001) hat weiterhin Gültigkeit.

  3. Das dieser Rechtsauffassung entgegenstehende wird als Einzelfallentscheidung betrachtet und ist nicht zu befolgen.

  4. Kündigt der Stpfl. im Rechtsbehelfsverfahren an, er werde einen Sachverständigen mit der Begutachtung beauftragen bzw. das Grundstück veräußern, erscheint es regelmäßig zweckmäßig, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen. Dies gilt im Regelfall jedoch nur für einen Zeitraum von 6 Monaten (geplante Begutachtung) bzw. 12 Monaten (geplanter Verkauf).

Das Fachreferat Bewertung teilt die Rechtsaufassung der Besprechung AO-Land 2013. Noch offene Rechtsbehelfe sind in diesem Sinne zu bescheiden.

Oberfinanzdirektion Karlsruhe v. - S 3000/23/S 4606/2

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
CAAAE-45085