BAG Urteil v. - 9 AZR 944/12

Tarifliche Übertragung des Urlaubs auf das erste Quartal des Folgejahres ohne das Vorliegen besonderer Gründe

Gesetze: § 275 Abs 1 BGB, § 275 Abs 4 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 280 Abs 3 BGB, § 283 S 1 BGB, § 286 Abs 1 S 1 BGB, § 286 Abs 2 Nr 3 BGB, § 287 S 2 BGB, § 249 Abs 1 BGB, § 1 TVG, § 13 Abs 1 S 1 BUrlG

Instanzenzug: Az: 1 Ca 197/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 8 Sa 100/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen nicht gewährten Urlaubs aus dem Jahr 2010.

2Der im März 1955 geborene Kläger ist seit dem bei der Beklagten als Redakteur auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen vom (MTV), abgeschlossen zwischen dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V. sowie ver.di und dem Deutschen Journalisten-Verband e. V., Anwendung. Der MTV lautet auszugsweise wie folgt:

3Zwischen den Tarifvertragsparteien des MTV wurde am ein neuer Manteltarifvertrag abgeschlossen. Die Regelung in § 9 Abs. 5 MTV ist auch in dem neuen Tarifvertrag wortgleich enthalten.

4Am Ende des Jahres 2010 hatte der Kläger vier Urlaubstage aus diesem Jahr nicht genommen. Mit Schreiben vom („Urlaubsschein“) beantragte er vom 3. bis zum „regulären Urlaub“. Die Beklagte gewährte dem Kläger in diesem Zeitraum vier Tage „neuen“ Urlaub aus dem Jahr 2011. Mit Schreiben vom beantragte der Kläger erneut Urlaub, diesmal für den Zeitraum vom 7. bis zum , wobei er ausweislich seines „Urlaubsscheins“ klarstellte, dass es sich hierbei um den Resturlaub aus dem Jahr 2010 handele, den er „bereits in der 1. Januarwoche eingereicht, aber vom neuen Urlaub abgezogen“ bekommen habe. Die Beklagte verweigerte die Gewährung von Urlaub aus dem Jahr 2010 und vertrat die Ansicht, der Resturlaub des Klägers aus dem Jahr 2010 sei am 31. Dezember des Jahres verfallen.

5Der Kläger ist der Auffassung, dass § 9 Abs. 5 MTV eine automatische Übertragung des (restlichen) Jahresurlaubs in das Folgejahr ermögliche, sodass Tarifurlaub aus einem Kalenderjahr bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden könne. Der Tarifvertrag enthalte insofern eine abweichende Regelung zu § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG, was gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG zulässig sei. Insofern sei sein Resturlaub aus dem Jahr 2010 nicht zum verfallen.

6Der Kläger hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie ist der Ansicht, dass der MTV keine automatische Übertragung nicht genommenen Urlaubs vorsehe. Dies würde zu einer Kumulierung von Urlaubsansprüchen im ersten Quartal des Folgejahres führen, die mit den betrieblichen Gegebenheiten, dh. der Produktion einer Tageszeitung, unvereinbar sei. Zudem sollte das Urlaubsjahr entgegen der Regelung in § 9 Abs. 4 Satz 1 MTV nicht auf 15 Monate erweitert werden. Eine Übertragung komme gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur ausnahmsweise bei Vorliegen dringender betrieblicher Gründe oder in der Person des Redakteurs liegender Gründe in Betracht.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom Senat mit Beschluss vom (- 9 AZN 1384/12 -) zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

Gründe

9Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Gewährung von vier Tagen Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus dem Jahr 2010.

10I. Anspruchsgrundlage sind § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um ( - Rn. 14 mwN).

11II. Diese Voraussetzungen liegen vor.

121. Der Kläger hat jedenfalls mit dem Urlaubsantrag vom die Gewährung der unstreitig im Jahr 2010 nicht in Anspruch genommenen vier Urlaubstage begehrt. Die Beklagte hat die Gewährung von Urlaubsansprüchen, die im Jahr 2010 entstanden waren, daraufhin ernsthaft und endgültig abgelehnt. Der nicht gewährte Urlaub verfiel am .

132. Der Urlaubsantrag des Klägers vom war auch noch rechtzeitig. Im Jahr 2010 entstandene Urlaubsansprüche waren nicht am untergegangen, sondern konnten gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 MTV noch bis zum gewährt und genommen werden. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm (zu den Auslegungsgrundsätzen bei Tarifverträgen: vgl.  - Rn. 17 mwN, BAGE 134, 184).

14a) § 9 Abs. 5 Satz 1 MTV enthält entgegen der Ansicht der Beklagten dem Wortlaut nach keine grundsätzliche Begrenzung auf das Kalenderjahr. Zwar bestimmt § 9 Abs. 4 Satz 1 MTV das Kalenderjahr als Urlaubsjahr, die Regelung hat jedoch - wie sich im Zusammenhang mit § 9 Abs. 4 Satz 2 MTV ergibt - lediglich Bedeutung für das Entstehen und die Ermittlung der Anzahl der jährlichen Urlaubstage und damit für die Höhe des Anspruchs auf Erholungsurlaub. Die Regelung in § 9 Abs. 4 Satz 1 MTV trifft keine Aussage zu der Frage, bis wann ein Arbeitnehmer den ihm tarifvertraglich zustehenden Urlaub genommen haben muss. Dies ist in § 9 Abs. 5 Satz 1 MTV geregelt. Hiernach ist eine Inanspruchnahme des Urlaubs „spätestens bis zum 31. März des folgenden Jahres“ zulässig. Damit wird der Zeitraum, in dem der Urlaub aus einem bestimmten Kalenderjahr genommen werden kann, dem Tarifwortlaut nach ausdrücklich über das Urlaubsjahr hinaus erweitert. Rein sprachlich und vom Satzbau her betrachtet sind die Regelungen „innerhalb des laufenden Urlaubsjahres“ und „spätestens bis zum 31. März des folgenden Jahres“ in § 9 Abs. 5 Satz 1 MTV gleichrangig. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Übertragungszeitraum nicht in einem Nebensatz geregelt. Der Umstand, dass das Wort „muss“ vor der Formulierung „innerhalb des laufenden Urlaubsjahres“ steht, ist durch die passivische Verbform („muss ... gewährt und genommen werden“) bedingt. Zwar mag es von den Tarifvertragsparteien als wünschenswert angesehen worden sein, dass der Urlaub innerhalb des laufenden Kalenderjahres genommen wird, jedoch haben sie den Zeitraum, in dem der Urlaub gewährt und genommen werden muss, in § 9 Abs. 5 Satz 1 MTV vorbehaltlos bis zum 31. März des Folgejahres erstreckt. Die Inanspruchnahme des Urlaubs in den ersten drei Monaten des Folgejahres wurde gerade nicht an das Vorliegen betrieblicher oder personenbedingter Gründe geknüpft. Dies, obwohl der Tarifvertrag in § 9 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 aE für die Frage der Teilung des Urlaubsanspruchs auf das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe Bezug nimmt.

15b) Eine Anwendung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses iSd. § 7 Abs. 3 BUrlG verbietet sich schon deshalb, weil die Tarifvertragsparteien eine - gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zulässige (vgl.  - zu I 3 a der Gründe) - eigene, vom Wortlaut des Bundesurlaubsgesetzes abweichende Formulierung gewählt haben. Hieraus lässt sich der Wille der Tarifvertragsparteien entnehmen, den Zeitraum für die Inanspruchnahme des Urlaubs abweichend von § 7 Abs. 3 BUrlG zu regeln. Ansonsten hätte es nahe gelegen, wie in § 9 Abs. 6 MTV für die Wartezeit und den Teilurlaub auch hinsichtlich der Fristen zur Inanspruchnahme und Gewährung des Urlaubs die Geltung des Bundesurlaubsgesetzes anzuordnen.

16c) Soweit die Beklagte einer solchen Auslegung von § 9 Abs. 5 MTV entgegenhält, dies könne im Einzelfall dazu führen, dass Redakteurinnen bzw. Redakteure, die älter als 55 Jahre sind und die keinen Urlaubstag in einem bestimmten Kalenderjahr in Anspruch genommen haben, zu Beginn des Folgejahres einen Urlaubsanspruch von (bis zu) 68 Urlaubstagen haben könnten, stellt dies das Auslegungsergebnis nicht infrage. So ist zum einen mit einer Übertragung, selbst wenn sie den Vorgaben des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG genügen muss, stets verbunden, dass im ersten Quartal der übertragene Urlaub zum Urlaub aus dem aktuellen Kalenderjahr hinzutritt, dh. die Kumulierung von Urlaubsansprüchen ist auch nach dem Bundesurlaubsgesetz nichts Ungewöhnliches. Zum anderen ist die Beklagte durch die Begrenzung des Übertragungszeitraums bis zum 31. März des Folgejahres und den damit verbundenen Verfall vor einer (übermäßigen) Kumulierung von Urlaubsansprüchen geschützt. Im Übrigen bestünde auch bei einem Verfall am 31. Dezember des Urlaubsjahres die Möglichkeit der Beantragung eines gleich langen Urlaubs, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub des einen Jahres am Jahresende und (zusammenhängend) den Urlaub des Folgejahres zum Jahresbeginn verlangt.

17III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 1336 Nr. 22
AAAAE-70991