BAG Urteil v. - 9 AZR 585/13

Urlaubsgeld - Fälligkeitsregelung in einem Formulararbeitsvertrag - Urlaubsabgeltung - Minderung des Urlaubs bei selbst verschuldetem Ausscheiden des Arbeitnehmers

Gesetze: Art 7 EGRL 88/2003, § 1 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 2 Ca 3785/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 10 Sa 595/12 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger verlangt von der Beklagten, gesetzlichen Mindesturlaub und tariflichen Mehrurlaub aus den Jahren 2009 und 2010 abzugelten und an ihn Urlaubsgeld für das Jahr 2010 zu zahlen.

2Die Beklagte beschäftigte den Kläger seit dem als Lagermeister. Das monatliche Bruttoentgelt des Klägers, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbrachte, betrug zuletzt 2.607,50 Euro.

3Der Formulararbeitsvertrag der Parteien vom (ArbV) enthält ua. folgende Regelungen:

4In dem Urlaubsgeldabkommen vom , das mit Wirkung zum in Kraft trat, heißt es ua. wie folgt:

5Der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW idF vom (MTV), der am in Kraft trat, enthält ua. folgende Bestimmungen:

6Im Jahr 2009 gewährte die Beklagte dem Kläger 17 Arbeitstage Urlaub. Der Kläger war vom bis zum durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom forderte der Kläger die Beklagte vergeblich auf, an ihn ua. Urlaubsgeld für das Jahr 2010 zu zahlen.

7Mit Schreiben vom erklärte die Beklagte die außerordentliche fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. In der Klageschrift vom , mit der der Kläger vor dem Arbeitsgericht (- 10 Ca 716/11 -) Rechtsschutz gegen die Kündigung suchte und die der Beklagten am zugestellt wurde, verlangte der Kläger von der Beklagten ohne Erfolg ua., den verbleibenden Resturlaub abzugelten. Mit Urteil vom , das dem Kläger am in vollständig abgefasster Form zugestellt wurde, wies das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage des Klägers mit der Begründung ab, der Beklagten sei aufgrund fortgesetzter Beleidigungen und Bedrohungen seitens des Klägers die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Das Kündigungsschutzverfahren endete mit der Rücknahme der Berufung durch den Kläger in dem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht (- 2 Sa 701/11 -).

8Mit der Klageschrift vom , die am Folgetag beim Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am zugestellt worden ist, nimmt der Kläger die Beklagte im hiesigen Verfahren auf Zahlung von Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld in Anspruch.

9Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die tarifliche Kürzungsvorschrift des § 8 Nr. 7 Buchst. g MTV, deren tatbestandliche Voraussetzungen mangels einer vorsätzlichen Handlung nicht vorlägen, lasse seine Ansprüche auf gesetzlichen Mindesturlaub ebenso unberührt wie die Ansprüche auf tariflichen Mehrurlaub aus den Jahren 2009 und 2010. Lege man der Kürzungsbestimmung rückwirkende Kraft bei, werde er gegenüber arbeitsfähigen Arbeitnehmern ungerechtfertigt benachteiligt. Die zweite Stufe der tariflichen Ausschlussfrist habe erst mit Verkündung des Urteils vom oder dessen Zustellung an ihn am zu laufen begonnen. Der Anspruch auf Urlaubsgeld sei erst mit dem Urlaubsabgeltungsanspruch für den von der Beklagten während des Arbeitsverhältnisses nicht gewährten Urlaub fällig geworden (§ 2 Nr. 4 Urlaubsgeldabkommen). Im Übrigen sei die tarifliche Ausschlussfrist nur auf den Mehrurlaub, nicht aber auf den Mindesturlaub anzuwenden. Schließlich sei es ihm nicht zumutbar gewesen, zugleich mit der Kündigungsschutzklage eine Klage auf Zahlung der Urlaubsabgeltung und des Urlaubsgelds zu erheben.

10Der Kläger hat zuletzt beantragt,

11Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt,die Kürzungsvorschrift des § 8 Nr. 7 Buchst. g MTV führe zum Wegfall des Anspruchs auf Mehrurlaub und Urlaubsgeld. Die Urlaubsansprüche des Klägers für das Jahr 2009 seien bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen (§ 8 Nr. 1 MTV). Zudem habe der Kläger die Klageansprüche nicht binnen der tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht.

12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts - soweit für die Revision von Bedeutung - abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel, die vollständige Abweisung der Klage, weiter.

Gründe

13Die zulässige Revision der Beklagten ist größtenteils unbegründet.

14I. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung des Klägers insoweit zu Unrecht abgeändert, als es der Klage hinsichtlich des Urlaubsgelds für das Jahr 2010 stattgegeben hat. Der Kläger hat den Anspruch, der gemäß § 14 ArbV am fällig wurde, nicht binnen der tariflichen Ausschlussfrist gegenüber der Beklagten geltend gemacht (§ 15 Nr. 4 Halbs. 1 iVm. Nr. 2 MTV).

151. Nach § 15 Nr. 2 Abs. 1 MTV sind alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen drei Monaten nach Fälligkeit dem anderen Vertragspartner gegenüber schriftlich geltend zu machen. Eine Geltendmachung von Ansprüchen nach Ablauf dieser Frist ist ausgeschlossen (§ 15 Nr. 4 Halbs. 1 MTV). Nach § 12 ArbV iVm. § 2 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 Urlaubsgeldabkommen wird das Urlaubsgeld fällig, wenn mindestens die Hälfte des dem Arbeitnehmer tariflich zustehenden Urlaubs gewährt und genommen wird. Gemäß § 14 ArbV hat der Kläger „zum 30.6.“ Anspruch auf Urlaubsgeld.

162. Die Fälligkeit des Anspruchs auf Urlaubsgeld richtet sich im Streitfall nach § 14 ArbV. Das Landesarbeitsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, die arbeitsvertragliche Regelung sei intransparent und deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB unwirksam. Vielmehr ergibt die Auslegung beider Klauseln, dass der Anspruch auf Urlaubsgeld am 30. Juni eines jeden Jahres fällig wurde.

17a) Die §§ 12 und 14 ArbV sind bereits ihrem äußeren Erscheinungsbild nach Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das Revisionsgericht hat die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen selbstständig nach den Grundsätzen der Auslegung von Normen vorzunehmen. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind ( - Rn. 12). Sieht ein Formulararbeitsvertrag, der eine pauschale Bezugnahme auf einen Tarifvertrag enthält, eine ausdrückliche Regelung vor, die von einer tariflichen Bestimmung abweicht, hat die arbeitsvertragliche Regelung grundsätzlich Vorrang vor der in Bezug genommenen Tarifvorschrift (vgl.  - Rn. 40, BAGE 144, 306). So liegt der Fall hier.

18b) Der Formulararbeitsvertrag vom nimmt in § 12 in allgemeiner Form ua. auf die Bestimmungen des Urlaubsgeldabkommens Bezug. Während § 2 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 Urlaubsgeldabkommen die Fälligkeit des Urlaubsgelds an die Gewährung von Urlaub knüpft, sieht die ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag der Parteien eine Fälligkeit am 30. Juni eines jeden Jahres vor (§ 14 ArbV). Gründe, die es geboten scheinen lassen, von dem zitierten Grundsatz abzuweichen, dem zufolge die ausdrückliche AGB-Regelung der in pauschaler Form in Bezug genommenen Tarifbestimmung vorgeht, sind nicht ersichtlich. Vielmehr sprechen im Streitfall systematische Erwägungen gegen die Sichtweise des Landesarbeitsgerichts. Der Regelungszusammenhang, in den die beiden Bestimmungen eingebettet sind, belegt ein Spezialitätsverhältnis, in dessen Folge die allgemeine Bestimmung des § 12 ArbV hinter der spezielleren Regelung des § 14 ArbV zurücktritt. Der Arbeitsvertrag begründet nicht selbst einen Anspruch auf Urlaubsgeld, sondern verweist zu diesem Zweck auf den MTV und das Urlaubsgeldabkommen. Diese Regelungstechnik erlaubte es den Parteien, den Anspruch auf Urlaubsgeld in allgemeiner Form zum Gegenstand des Arbeitsvertrags zu machen und diese allgemeine Regelung in einer der nachfolgenden Bestimmungen - im Streitfall hinsichtlich der Fälligkeit - zu modifizieren. Im Übrigen hat - ohne dass dies für die Auslegung der Klausel nach objektiven Merkmalen zu berücksichtigen wäre - auch der Kläger die Fälligkeitsregelung im nämlichen Sinne verstanden. Anderenfalls hätte er die Beklagte nicht mit Schreiben vom zur Zahlung des Urlaubsgelds aufgefordert. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte ihm noch keinen Urlaub aus dem Jahr 2010 gewährt.

19c) Schließlich zeigt auch die Vereinbarung der Parteien in § 14 ArbV bezüglich der Fälligkeit der Leistungsprämie „zum 30.11.“, dass sie die Fälligkeit des Urlaubsgelds mit der Formulierung „zum 30.6.“ abweichend von der tariflichen Regelung festgelegt haben.

203. Da der Anspruch des Klägers auf Urlaubsgeld für das Jahr 2010 am fällig war, endete die dreimonatige Ausschlussfrist des § 15 Nr. 2 Abs. 1 MTV am . Der Kläger machte seinen Urlaubsgeldanspruch erstmals mit Schreiben vom und damit nach Fristablauf der Beklagten gegenüber geltend.

21II. Soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger 5.178,92 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit zu zahlen, ist die Revision der Beklagten unbegründet. Die Beklagte ist verpflichtet, 43 Arbeitstage Urlaub abzugelten. Anspruchsgrundlage ist § 7 Abs. 4 BUrlG. Die Kürzungsregelung in § 8 Nr. 7 Buchst. g Abs. 1 MTV lässt den Anspruch des Klägers ebenso unberührt wie die Ausschlussfrist des § 15 Nr. 2 MTV.

221. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber Urlaub abzugelten, wenn dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

232. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete infolge der außerordentlichen fristlosen Kündigung der Beklagten mit Zugang des Kündigungsschreibens beim Kläger. Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage des Klägers mit Urteil vom (- 10 Ca 716/11 -) ab. Der Kläger nahm die gegen das Urteil eingelegte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (- 2 Sa 701/11 -) zurück.

243. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien stand dem Kläger ein Anspruch auf insgesamt 43 Arbeitstage Urlaub zu.

25a) Der Anspruch des Klägers auf gesetzlichen Mindesturlaub belief sich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf 23 Arbeitstage.

26Der Kläger, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbrachte, erwarb zu Beginn des Jahres 2009 einen Anspruch auf 20 Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG). Mit der Freistellung des Klägers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung an 17 Arbeitstagen im Jahr 2009 brachte die Beklagte den Urlaubsanspruch gemäß § 362 Abs. 1 BGB teilweise zum Erlöschen (vgl.  - Rn. 10, BAGE 143, 1). Die verbleibenden drei Arbeitstage Mindesturlaub wurden infolge der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers, die vom bis zum währte, in das Jahr 2010 übertragen (§ 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG). Zu Beginn des Jahres 2010 traten zu den übertragenen Urlaubstagen 20 Arbeitstage Mindesturlaub hinzu. Der aus dem Jahr 2009 stammende Urlaub bestand unbeschadet des Umstands, dass der Übertragungszeitraum am endete (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), fort. Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) ist § 7 Abs. 3 BUrlG unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist (vgl. dazu im Einzelnen  - Rn. 23 ff., BAGE 142, 371). Unabhängig von der Frage, ob die tarifvertraglich vorgesehene Abgeltung von Urlaub hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs rechtlich zulässig ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG), wandelte sich der aus dem Jahr 2009 stammende Urlaub mit Ablauf des nicht gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV in einen Abgeltungsanspruch um, denn der Urlaub wurde nicht aus betrieblichen, sondern aus in der Person des Klägers liegenden Gründen in das Jahr 2010 übertragen. Da die durchgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers über den fortdauerte, wurde sowohl der Urlaub aus dem Jahr 2009 als auch der Urlaub aus dem Jahr 2010 in das Jahr 2011 übertragen.

27b) Darüber hinaus hatte der Kläger zum Beendigungszeitpunkt Anspruch auf 20 Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub. Die Vorschriften des MTV fanden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung (§ 12 Abs. 1 ArbV). Der Kläger erwarb sowohl zu Beginn des Jahres 2009 als auch im Folgejahr einen Anspruch auf jeweils zehn Arbeitstage Mehrurlaub (§ 8 Nr. 4 Abs. 1 Buchst. b MTV).

28aa) Der Anspruch ging bis zum Tag, an dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, nicht unter. Zwischen dem Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub und dem Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub nach den Vorschriften des MTV besteht ein Gleichlauf, der zur Folge hat, dass der Anspruch auf Mehrurlaub der 15-Monats-Rechtsprechung des Senats (ausführlich hierzu  - Rn. 23 ff., BAGE 142, 371) unterfällt. Die Verfallsregelungen des § 8 Nr. 1 Abs. 1 MTV unterscheiden nicht zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub. Die Tarifbestimmungen enthalten auch keine abweichenden Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs. Dies ergibt die Auslegung der maßgeblichen Tarifbestimmungen.

29(1) Die unionsrechtlichen Vorgaben, die der Senat zum Anlass genommen hat, § 7 Abs. 3 BUrlG fortzubilden, betreffen ausschließlich den Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, frei regeln (vgl.  - [Neidel] Rn. 34 ff. mwN). Ihre Regelungsmacht schließt die Befristung des Mehrurlaubs ein. Unionsrecht steht einem tariflich angeordneten Verfall des Mehrurlaubs nicht entgegen ( - Rn. 10). Die Tarifvertragsparteien des MTV haben von dieser Regelungsmacht indes keinen Gebrauch gemacht.

30(2) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den Mehrurlaub einem eigenen, von dem des Mindesturlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Ein Gleichlauf ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben ( - Rn. 12).

31(3) Die Parteien des MTV haben den Mehrurlaub keinem eigenständigen Fristenregime unterstellt. Nach der Urlaubskonzeption des MTV soll der Arbeitgeber, nicht aber der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf Mehrurlaub nicht erfüllbar ist. In inhaltlicher Übereinstimmung mit § 1 BUrlG regelt § 8 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 MTV, dass Urlaubsjahr das Kalenderjahr ist. § 8 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 MTV stimmt mit § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG, § 8 Nr. 1 Abs. 1 Satz 4 MTV mit § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG und § 8 Nr. 1 Abs. 1 Satz 5 MTV mit § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG überein. Abweichungen von der gesetzlichen Regelung haben die Tarifvertragsparteien nicht vorgesehen.

32bb) Der insgesamt 20 Arbeitstage umfassende tarifliche Mehrurlaubsanspruch verminderte sich infolge der außerordentlichen fristlosen Kündigung der Beklagten vom nicht. Die tarifvertragliche Regelung des § 8 Nr. 7 Buchst. g Abs. 1 Satz 1 MTV führt zum Wegfall des Mehrurlaubs, den der Arbeitnehmer im Jahr seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis erworben hat, erfasst aber nicht den übertragenen Mehrurlaub der Vorjahre. Dies ergibt die Auslegung der Tarifbestimmung.

33(1) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der tariflichen Minderungsvorschrift liegen im Streitfall vor. Die fortgesetzte Beleidigung und Bedrohung der Geschäftsführung der Beklagten ist ein vorsätzliches und schuldhaftes Verhalten des Klägers, das die Beklagte zum Anlass nahm, das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom außerordentlich fristlos zu kündigen. Mit inzwischen rechtskräftigem Urteil vom (- 10 Ca 716/11 -) wies das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage ab.

34(2) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die in § 8 Nr. 7 Buchst. g Abs. 1 Satz 1 MTV vorgesehene Minderung erfasse weder den tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2009 noch den aus dem Jahr 2010.

35§ 8 Nr. 7 Buchst. g Abs. 1 Satz 1 MTV zufolge vermindert sich der „Urlaubsanspruch“ des entlassenen Arbeitnehmers. Dem Wortlaut der Tarifbestimmung ist nicht zu entnehmen, auf welches Urlaubsjahr sich die Verminderung bezieht. Die Regelungssystematik des § 8 Nr. 7 MTV spricht jedoch für das Auslegungsergebnis, zu dem das Landesarbeitsgericht gelangt ist. Die Tarifbestimmungen des § 8 Nr. 7 Buchst. a, Buchst. c und Buchst. f MTV nehmen in ihrem Tatbestand ausdrücklich auf das Kalenderjahr, das gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 MTV mit dem Urlaubsjahr identisch ist, Bezug. Es liegt deshalb nahe, dass auch der Begriff „Urlaubsanspruch“ iSd. § 8 Nr. 7 Buchst. g Abs. 1 Satz 1 MTV ausschließlich den Urlaub, den der Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr erworben hat, meint. Auch die Regelung des § 8 Nr. 7 Buchst. g Abs. 2 MTV streitet für eine einschränkende Auslegung. Danach hat ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis unter den in § 8 Nr. 7 Buchst. g Abs. 1 Satz 1 MTV genannten Voraussetzungen endet, zu viel erhaltenes Urlaubsentgelt zurückzuerstatten. Folgte man der Ansicht der Revision, wäre der Arbeitgeber in einem solchen Fall berechtigt, das auf den Mehrurlaub entfallende Entgelt für die gesamte Laufzeit des Arbeitsverhältnisses von dem Arbeitnehmer zurückzufordern. Eine derart weitreichende Regelungsabsicht kann den Tarifvertragsparteien nur unterstellt werden, wenn sie hinreichend klar in der Tarifnorm zum Ausdruck kommt. Das ist nicht der Fall.

364. Das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die tarifliche Ausschlussfrist dem Anspruch des Klägers nicht entgegensteht. Der Kläger hat mit Erhebung der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht (- 10 Ca 716/11 -) die dreimonatige erste Stufe, mit der Erhebung der hiesigen Klage die sich anschließende einmonatige zweite Stufe der Ausschlussfrist gewahrt.

37a) Gemäß § 15 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV ist spätestens innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der in § 15 Nr. 2 Abs. 1 MTV bezeichneten Frist Klage zu erheben. Ist das Beschäftigungsverhältnis beendet, so beträgt die Klagefrist gemäß § 15 Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 MTV einen Monat. Im Falle der tatsächlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses während des Urlaubsjahres wird der Urlaub sofort fällig; § 15 Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 MTV gilt entsprechend (§ 15 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 MTV).

38b) Die Ausschlussfrist ist im Streitfall nach § 15 Nr. 2 MTV zu bestimmen. Die Kündigung der Beklagten vom hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht nur tatsächlich, sondern darüber hinaus rechtlich beendet. Der Kläger hat die zweistufige Ausschlussfrist eingehalten.

39c) Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des ihm zustehenden Urlaubs entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl.  - Rn. 45, BAGE 142, 371). Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass die Ausschlussfrist am Folgetag, dem , zu laufen begann (§ 187 Abs. 1 BGB) und drei Monate später endete (§ 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Der Kläger hat seinen Urlaubsabgeltungsanspruch mit der Klageschrift vom im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens (- 10 Ca 716/11 -) dem Grunde nach geltend gemacht. Das reicht aus, um die Anforderungen an eine Geltendmachung auf der ersten Stufe zu erfüllen. Der Kläger war nicht gehalten, die Urlaubsabgeltungsansprüche zu beziffern (vgl.  - Rn. 21, BAGE 145, 8). Die Klageschrift ist der Beklagten am und damit vor Ablauf der ersten Stufe der Ausschlussfrist zugestellt worden.

40d) Auch die zweite Stufe der Ausschlussfrist hat der Kläger gewahrt, da er innerhalb von vier Monaten seit Fälligkeit Klage auf Abgeltung des Urlaubs erhoben hat. Die Klageschrift vom , die am Folgetag und damit vor dem Ablauf von vier Monaten seit Fälligkeit des Abgeltungsanspruchs beim Arbeitsgericht eingegangen ist (§ 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB), ist der Beklagten zwar erst am und damit nach Ablauf von vier Monaten zugestellt worden; dies ist jedoch unschädlich. Denn die Zustellung erfolgte demnächst iSd. § 167 ZPO.

415. Die Höhe des von der Beklagten als Urlaubsabgeltung geschuldeten Betrags ist zwischen den Parteien unstreitig.

426. Die Beklagte hat auf den vom Kläger geltend gemachten Bruttobetrag Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu entrichten. Dies folgt aus den gesetzlichen Vorschriften über den Schuldnerverzug (§ 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB). Der Verzug trat zwar bereits am Tage nach der Zustellung der Klageschrift, mithin am ein (§ 253 Abs. 1, § 222 ZPO iVm. §§ 186, 187 Abs. 1 BGB). Das Landesarbeitsgericht hat die Klage bezüglich der Verzugszinsen jedoch insoweit rechtskräftig abgewiesen, als der Kläger Zinsen für den Zeitraum bis zum verlangt hat.

43III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:200115.U.9AZR585.13.0

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 1459 Nr. 24
BB 2015 S. 1530 Nr. 25
DB 2015 S. 1415 Nr. 24
DStR 2015 S. 13 Nr. 30
VAAAE-91357