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StuB Nr. 18 vom Seite 737

Verlustmonetarisierung durch entgeltlichen Erwerb eines ertragsteuerlichen Gewinns ist kein Gestaltungsmissbrauch

Anmerkungen zum

Dr. Michael Schulze

Im Besprechungsfall musste der BFH darüber entscheiden, ob die rückwirkende Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Verlustgesellschaft mit dem Ziel der Nutzbarmachung des Verlusts die Anforderungen an einen Gestaltungsmissbrauch i. S. des § 42 AO i. d. F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2008 erfüllt. Die Bedeutung des Besprechungsurteils kann nicht hoch genug eingeordnet werden. Der BFH hat zum ersten Mal zu den Maßstäben des § 42 AO in der bis heute gültigen Fassung entschieden. Der folgende Beitrag fasst die für die Rechtsprechung maßgeblichen Erwägungen zusammen, beleuchtet die Hintergründe und stellt kursorisch die sich daraus ergebenden Folgen dar.

Kernfragen
  • Schließt eine einzelgesetzliche Umgehungsverhinderungsvorschrift die Anwendung der generellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift des § 42 AO aus?

  • Welcher Prüfungsmaßstab gilt für das Merkmal der „Angemessenheit“ i. S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO?

  • Wie sind Rechtsgestaltungen zur Nutzbarmachung eines Verlusts im Rahmen des § 42 AO zu beurteilen?

I. Urteilssachverhalt (vereinfacht)

[i]Strahl, Gestaltungsmissbrauch bei Verschmelzung einer „Gewinngesellschaft“ auf eine „Verlustgesellschaft“, NWB 23/2021 S. 1643, NWB HAAAH-80801 Vogt, in: Zugmaier/Nöcker/Vogt, AO, § 42, NWB VAAAH-30886 Im Streitfall musste der BFH darüber entscheiden, ob die Verschmelzung einer Gewinngesellschaft (D-GmbH) auf eine Verlustgesellschaft (A-GmbH) einen Gestaltungsmissbrauch i. S. des § 42 AO in der bis heute gültigen Fassung des JStG 2008 darstellt. Die A-GmbH (Klin.) befand sich Ende 2008 in insolvenzbedrohlichen Liquiditätsschwierigkeiten. Übliche insolvenzvermeidende Finanzierungsmaßnahmen waren allseitig abgelehnt worden. Zum Zwecke der Finanzierung bot deshalb die C-AG der Klin. den Erwerb einer 100%igen Tochtergesellschaft (D-GmbH) an. Der Anteilsverkauf sollte mit dem Ziel einer anschließenden Verschmelzung der D-GmbH auf die mit Verlustverrechnungspotenzial ausgestattete Klin. erfolgen, um hierdurch Liquidität freizusetzen.

Aus Finanzgeschäften hatte die D-GmbH u. a. im Streitjahr 2008 einen Gewinn erzielt, der am vollständig an die C-AG ausgeschüttet wurde. Das Aktivvermögen der D-GmbH bestand nach der Ausschüttung im Wesentlichen aus liquiden Mitteln und Forderungen, das Passivvermögen aus einer Körperschaftsteuerrückstellung.

Am veräußerte die C-AG sämtliche Anteile an der D-GmbH an die Klin. Mit Verschmelzungsvertrag vom wurde die D-GmbH (Gewinngesellschaft) rückwirkend auf die Klin. (Verlustgesellschaft) unter Ansatz des steuerlichen Buchwerts (§ 11 Abs. 2 UmwStG) verschmolzen. Die Verschmelzung führte dazu, dass der Klin. das Einkommen und das Vermögen der D-GmbH zum steuerlichen Übertragungsstichtag () zugerechnet wurde. Das auf den Rückwirkungszeitraum entfallende positive Einkommen der D-GmbH wurde mit den Verlustvorträgen der Klin. verrechnet. Das hatte die Auflösung der bei der D-GmbH gebildeten Steuerrückstellung zur Folge. Nach Abzug des Kaufpreises für die D-GmbH gingen der Klin. wegen des insoweit nicht mehr durch die Rückstellungen überlagerten Aktivvermögens effektiv liquide Mittel zu.

Das FA vertrat im geänderten KSt-Bescheid für 2008 die Auffassung, das von der D-GmbH im Rückwirkungszeitraum (u. a. 2008) erzielte (positive) Einkommen sei von ihr selbst zu versteuern, das Einkommen also nicht der Klin. zuzurechnen. Denn der Vorgang der Anteilsübertragung mit anschließender Verschmelzung sei rechtsmissbräuchlich i. S. des § 42 AO und dem Gestaltungsvorgang deshalb die steuerliche Anerkennung zu versagen. S. 738

II. Entscheidungsgründe des BFH

1. Vorbemerkungen

Die Revision des FA gegen das klagestattgebende Urteil des FG hatte keinen Erfolg. Allerdings hat der BFH die Vorentscheidung nur im Ergebnis, nicht aber in den Entscheidungsgründen bestätigt (§ 126 Abs. 4 FGO). Die Kombination aus Anteilserwerb und anschließender rückwirkender Verschmelzung auf den Erwerber mit dem einzigen Ziel, das im Rückwirkungszeitraum erzielte positive Einkommen mit Verlusten beim Erwerber zu verrechnen, sei keine „unangemessene rechtliche Gestaltung“ (§ 42 Abs. 2 Satz 1 AO) und stelle deshalb keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs. 1 Satz 1 AO) dar.