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NWB Nr. 45 vom Seite 3182

Bindung von Schlussbesprechungen nach Betriebsprüfungen

Teil 2: Tatsächliche Verständigung

Dr. Henning Wenzel

[i]Zur verbindlichen Auskunft/Zusage (Teil 1 der Aufsatzreihe) s. Wenzel, NWB 44/2022 S. 3120Im ersten Teil der Aufsatzreihe „Bindung von Schlussbesprechungen nach Betriebsprüfungen“ (s. Wenzel, ) wurde die verbindliche Zusage und die verbindliche Auskunft thematisiert. Nicht alle Probleme können aber mit der verbindlichen Zusage bzw. Auskunft abgedeckt werden; es verbleibt eine Vielzahl von Sachverhalten, die nicht vorab erfasst wurden bzw. werden konnten. Hier kann es im Rahmen einer Schlussbesprechung angezeigt sein, frühzeitig eine geeinte Lösung zu erzielen, die durch eine tatsächliche Verständigung eine Bindungswirkung für beide Seiten bewirkt. Durch diese kann bereits während der Schlussbesprechung ein ökonomisch überschaubares und rechtssicheres Ergebnis erzielt werden. Die in der Rechtspraxis anerkannte tatsächliche Verständigung ist allerdings gesetzlich nicht geregelt. Es ist daher wichtig, sich mit den Vorgaben und Restriktionen der Rechtsprechung und ergänzend der Literatur auszukennen. Nachfolgend wird daher hierzu ein vertiefter Überblick gegeben.

Die weiteren Teile der Aufsatzreihe „Bindung von Schlussbesprechungen nach Betriebsprüfungen“ von Wenzel finden Sie hier:

I. Einigungen in der Schlussbesprechung

[i]Beyer, Außenprüfung: Ein Leitfaden, Grundlagen, NWB FAAAE-82166 Sowohl die Anberaumung als auch die Durchführung einer Schlussbesprechung unterliegt bereits zahlreichen formellen und materiell-rechtlichen Restriktionen und Vorgaben (instruktiv dazu Pieske-Kontny, StBp 2020 S. 210). Dabei ist zu beachten, dass die S. 3183Schlussbesprechung gem. § 201 AO keine gesetzliche Verbindlichkeit vorsieht, da sie nicht den Abschluss der Außenprüfung, sondern lediglich den Abschluss der Prüfungshandlungen darstellt. In der Praxis entstehen dennoch wiederholt irrige Vorstellungen über die Frage, inwieweit Einigungen in der Schlussbesprechung die Teilnehmer binden. Ausnahmsweise kann, wie im dritten Teil der Aufsatzreihe gezeigt wird, eine Bindung der Finanzverwaltung über Treu und Glauben erzeugt werden. Die Voraussetzungen hierzu sind jedoch sehr eng. Ein einfacherer und sicherer Weg ist die tatsächliche Verständigung, die von der Rechtsprechung anerkannt und in der Praxis gut beherrschbar ist. Sie dient gerade in Fällen einer erschwerten Sachverhaltsermittlung der frühzeitigen Herstellung des Rechtsfriedens, wodurch für beide Seiten gleichzeitig eine Reduzierung des Arbeits- und Zeitaufwands einhergeht.

Mit § 180 Abs. 1a AO-E soll ein weiteres Instrument einer vorgelagerten Rechtssicherheit eingeführt werden (s. dazu Baum/Rohde, NWB 38/2022 S. 2672, 2678 f.). Wegen des begrenzten Anwendungsbereichs wird dennoch das praktische Bedürfnis für die tatsächliche Verständigung bestehen bleiben.

II. Voraussetzung der tatsächlichen Verständigung

[i] v. Wedelstädt, Tatsächliche Verständigung, infoCenter, NWB HAAAB-04886 Streitig ist immer noch, ob es sich bei der tatsächlichen Verständigung um eine Art verwaltungsrechtlichen Vertrag oder eine besondere Ausprägung des Grundsatzes aus Treu und Glauben handelt (vgl. dazu ausführlich Greite, NWB F. 2 S. 8405, 8409 ff.; Liehr, StBW 2011 S. 226, 228). Die rechtsdogmatische Einordnung kann m. E. allerdings dahinstehen, da beide Ansichten in der Praxis bei Voraussetzungen und Rechtsfolgen weitestgehend zu denselben Ergebnissen kommen.

1. Anwendbarkeit der tatsächlichen Verständigung

[i]Zeitpunkt der tatsächlichen VerständigungEinigkeit besteht darüber, dass die tatsächliche Verständigung grundsätzlich in jedem Stadium des Verwaltungsverfahrens – Besteuerungs- und Rechtsbehelfsverfahren – sowie im gerichtlichen Verfahren beim Finanzgericht eingesetzt werden kann. Ausgeschlossen ist sie allerdings im Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof. Der praktische Hauptanwendungsbereich ist die Betriebsprüfung.

a) Bezugspunkt Sachverhaltsaufklärung

[i]Nur Sachverhaltsermittlung, keine reinen RechtsfragenDer Anwendungsbereich der tatsächlichen Verständigung ist auf die Sachverhaltsermittlung begrenzt. Hierdurch sind die Situationen in der Schlussbesprechung ausgeschlossen, in denen ausschließlich streitige Rechtsfragen geklärt, eine bestimmte Rechtsfolge erzielt, die Anwendung von Rechtsvorschriften bestimmt oder ein unbilliges oder unzutreffendes Ergebnis vermieden werden soll (so bereits Apitz, StBp 2008 S. 93, 94; Liehr, StBW 2011 S. 226, 228). Insoweit ist eine alleinige rechtliche Würdigung von Tatsachen ausgeschlossen. Vielmehr soll mit der tatsächlichen Verständigung zu einem bestimmten abgeschlossenen Sachverhalt oder über eine bestimmte Sachbehandlung Einigung erzielt werden. Damit sind insbesondere die Schätzungs- und Bewertungsfälle gemeint, in denen ein Beurteilungs- oder Beweiswürdigungsspielraum besteht (vgl. zu Beispielen Greite, NWB F. 2 S. 8405).

[i]MischfälleAllerdings ist die Differenzierung zwischen der nicht zulässigen Rechtsfrage und der zulässigen Sachverhaltsermittlung fließend, weshalb bei ihr in den Mischfällen auch ein Einbezug erlaubt ist (vgl. Pieske-Kontny, StBp 2020 S. 88, 89; , NWB IAAAE-84310, Rz. 18).

Beispiel 1:

Unternehmer A und das zuständige Veranlagungsfinanzamt einigen sich in der tatsächlichen Verständigung darauf, welcher Umfang von Umsätzen ausgeführt und unter den ermäßigten bzw. den vollen Steuersatz bei S. 3184der Umsatzsteuer zu subsumieren ist (vgl. , NWB LAAAE-61337, Rz. 19 f.).

Für die Mischfälle ist Voraussetzung, dass bei der Bestimmung und Entscheidung über Tatsachenfragen zugleich auch die rechtliche Würdigung im Rahmen der Subsumtion erforderlich ist (vgl. Mösbauer, BB 2003 S. 1037, 1039). Mit anderen Worten müssen die Normbestimmung und Sachverhaltssubsumtion in einem so engen Zusammenhang stehen, dass sie nicht ohne weiteres auseinandergerissen werden können (vgl. Pieske-Kontny, StBp 2020 S. 88, 89). Zulässig sind damit die notwendigen mittelbaren Berührungen bzw. Klärungen zu einer Rechtsnorm. Gleichfalls kann eine rechtliche Vorschrift als Vorfrage geprüft und entschieden werden (vgl. BStBl 2008 I S. 831, Rz. 2.3), um anschließend aufgrund der Vorprüfung den Sachverhalt bestimmen zu können. Die Rechtsfragen werden insoweit im Zusammenhang mit der Tatsachenfrage mitentschieden (vgl. Mösbauer, BB 2003 S. 1037, 1039). Hierdurch wird der tatsächlichen Verständigung ein (sehr) weiter Anwendungsbereich mit dem Ziel der geeinten Befriedung des Streits eingeräumt. Es ist an den verantwortlichen Personen, gemeinsam durch rechtskonformes Handeln diese weiten Grenzen praxisorientiert zu nutzen und auszutarieren, indem anhand der tatsachenorientierten, richtigen Formulierungen und Beschreibungen noch die Vorgaben der Mischfälle erfüllt werden.