BGH Beschluss v. - StB 50/23

Gründe

I.

1Das Oberlandesgericht Celle führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen der Vorwürfe der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in zwei Fällen. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens dauert die Hauptverhandlung seit dem an.

2Im Hauptverhandlungstermin vom hat der Angeklagte beantragt, die Bestellung seiner beiden Pflichtverteidiger Rechtsanwälte Dr. E.     und A.    aufzuheben und ihm einen neuen Verteidiger beizuordnen. Zur Begründung hat er mehrere Prozesshandlungen von Rechtsanwalt Dr. E.     angeführt, die nach seiner Wahrnehmung nicht ausreichend gründlich mit ihm abgestimmt worden seien. Das betreffe insbesondere die Abgabe einer zweiten Einlassung. Soweit er hierzu seine Zustimmung erteilt habe oder anderweitig dem Rat des Verteidigers gefolgt sei, erkenne er jetzt, dass dies ein Fehler gewesen sei. Ziel der Verteidigung sei eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich gewesen. Der Vertreter des Generalbundesanwalts habe jedoch die Verhängung von sieben Jahren Freiheitsstrafe beantragt. Rechtsanwalt A.   habe zu dem Verhalten von Dr. E.     jeweils geschwiegen, was im Islam Zustimmung bedeute. Deshalb vertraue er beiden Verteidigern nicht mehr.

3Nach Stellungnahme der weiteren Verfahrensbeteiligten hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats den Antrag mit Beschluss vom abgelehnt. Hiergegen hat der Angeklagte mit einem am beim Oberlandesgericht eingegangenen Schreiben unter Wiederholung seiner vorherigen Ausführungen „Widerspruch“ erhoben. Die Verteidiger seien „Verräter“, auf die er sich nicht länger einlasse.

II.

4Das Rechtsmittel ist gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO auszulegen. Als solche ist es zulässig, aber unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt.

5Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung liegen nicht vor, wie dies der insoweit zuständige Vorsitzende des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats (vgl. , NStZ 2021, 60 Rn. 3) zutreffend angenommen hat. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und den Pflichtverteidigern endgültig im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zerstört, noch besteht ein sonstiger Grund, die Verteidigerbestellung aufzuheben.

61. Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem endgültig zerstört ist. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (, NStZ-RR 2023, 115, 116 mwN).

7An einer solchen substantiierten Darlegung fehlt es. Der Angeklagte hat lediglich einige Differenzen mit Rechtsanwalt Dr. E.    über die Verteidigungsstrategie vorgebracht, die behebbar sowie teilweise schon behoben sind, zumal ihnen zum Teil Missverständnisse zugrunde gelegen haben. Weder betreffen die Meinungsverschiedenheiten das grundlegende Verteidigungskonzept, noch hält sich Rechtsanwalt Dr. E.    ihretwegen für außerstande, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen. Von einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ist danach, selbst wenn man das Vorbringen des Angeklagten als wahr unterstellt, nicht auszugehen (vgl. zu den Maßstäben insgesamt , juris Rn. 8 mwN). Erst recht ist kein endgültiger Vertrauensverlust in Bezug auf Rechtsanwalt A.   dargetan. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

82. Eine Entpflichtung der beiden Verteidiger aus einem sonstigen Grund im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Rechtsanwalt Dr. E.     hat insbesondere keine grobe Pflichtverletzung begangen. Eine solche könnte allenfalls in der Abgabe einer mit dem Angeklagten nicht abgesprochenen Sachdarstellung gegenüber dem Gericht zu sehen sein (vgl. , juris Rn. 10 mwN). Der Angeklagte hat jedoch eingeräumt, dass er den von Rechtsanwalt Dr. E.     gefertigten Entwurf einer zweiten Einlassung vor der Einreichung bei Gericht durchgelesen und sich damit einverstanden erklärt hat. Durch diese Vorgehensweise hat der Verteidiger eine Pflichtverletzung gerade vermieden. Dem nachträglichen Wechsel der Auffassung des Angeklagten kommt in dem hier maßgeblichen Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu.

93. Ein „konsensualer“ Pflichtverteidigerwechsel kommt schließlich ebenfalls nicht in Betracht (vgl. dazu BT-Drucks. 19/13829 S. 47, 49; , juris Rn. 7). An den Voraussetzungen hierfür fehlt es bereits deshalb, weil der Angeklagte bisher keinen Rechtsanwalt benannt hat, der zu seiner Verteidigung bereit wäre.

10Das Schreiben des Angeklagten vom hat bei der Entscheidung vorgelegen.

Schäfer                    Berg                    Erbguth

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:080823BSTB50.23.1

Fundstelle(n):
AAAAJ-47366