BGH Beschluss v. - StB 4/20

Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung bei Interessenkonflikt einer Mehrfachverteidigung

Gesetze: § 143a Abs 2 S 1 Nr 3 StPO, § 146 StPO

Gründe

I.

1Das Oberlandesgericht führt gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, dabei in einem Fall in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, im anderen Fall in Tateinheit mit Beihilfe zu einer solchen Vorbereitung. Der Angeklagte hat beantragt, die Bestellung des ihm auf seinen Antrag am bestellten Pflichtverteidigers Dr. E.    aufzuheben und ihm Rechtsanwalt G.    als neuen Pflichtverteidiger zu bestellen, da das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Pflichtverteidiger unheilbar zerrüttet sei. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde, die er im Wesentlichen damit begründet, dass fortlaufend nicht nur die abstrakte, sondern die konkrete Gefahr einer Interessenkollision in der Person des Pflichtverteidigers bestehe. Diese beruhe darauf, dass der Verteidiger zuvor einen in der Anklageschrift benannten Zeugen verteidigt habe. Hierfür sei unerheblich, dass sich der Zeuge bislang auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen habe.

II.

2Die nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt.

31. Der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats hat seine Zuständigkeit zutreffend gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO angenommen. Da es sich hierbei um eine allgemeine Regelung über die Zuständigkeit handelt, gilt sie auch für Entscheidungen über den Pflichtverteidigerwechsel. Hierfür spricht zudem, dass die Norm inhaltlich an § 141 Abs. 4 StPO aF angeknüpft und insofern die Zuständigkeit des Vorsitzenden auch für Entpflichtungsanträge anerkannt war (vgl. , NStZ 2004, 632 Rn. 5; BT-Drucks. 19/13829 S. 41).

42. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt Dr. E.    liegen nicht vor.

5Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen bestehen keine Gründe zur Aufhebung der Verteidigerbestellung.

6a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift, die am in Kraft getreten ist (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134), das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren. Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 48).

7Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. , BGHSt 39, 310, 314 f.; vom - 2 StR 319/15, NStZ 2017, 59, 61; , juris Rn. 10 mwN; s. auch , NJW 2001, 3695, 3697 mwN).

8Unabhängig davon kann ein konkret manifestierter Interessenkonflikt einen Grund dafür bieten, die bestehende Bestellung aufzuheben, wenn ansonsten die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist (s. , BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 11 Rn. 33 mwN; Beschluss vom - 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173). Mit Blick auf die Ausgestaltung des Verbots der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO hat der Gesetzgeber in der sukzessiven Verteidigung von mehreren derselben Tat beschuldigten Personen keine die Verteidigung im Allgemeinen hindernde Interessenkollision gesehen (vgl. , BGHSt 48, 170, 173 f.; BT-Drucks. 10/1313 S. 22). Indes steht eine Mandatsbeendigung einem etwaigen Interessenkonflikt nicht grundsätzlich entgegen (vgl. , NStZ 2014, 660 Rn. 38; Beschluss vom - 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10). Ob ein solcher vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und objektiv zu bestimmen (, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 11 Rn. 35; vom - AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039, 3040).

9b) Daran gemessen ist ein Verteidigerwechsel auf der Grundlage des derzeitigen Sachstandes nicht erforderlich.

10aa) Ein konkreter Interessenkonflikt in Bezug auf die bereits beendete Verteidigung des Zeugen W.    und die Verteidigung des Angeklagten besteht nicht.

11(1) Die Verteidigung des Zeugen einerseits und des Angeklagten andererseits hatte nicht denselben Sachverhalt als maßgeblichen Verfahrensgegenstand (vgl. - zu § 356 StGB - , BGHSt 52, 307 Rn. 20).

12Dem Angeklagten wird die mitgliedschaftliche Beteiligung am "Islamischen Staat [im Irak und Syrien]" seit November 2013 in zwei Fällen in Tateinheit mit weiteren Delikten zur Last gelegt. Im Anklagesatz sind insoweit eine Ausreise des Angeklagten nach Syrien am , seine anschließende Ausbildung als Kämpfer in Syrien sowie eine Vermittlung im April 2014 bei der Ausreise von      M.   aufgeführt. Demgegenüber wurde der Zeuge am , rechtskräftig seit dem , wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Das Urteil hatte - entsprechend der zugrundeliegenden Anklage - Widerstandshandlungen am und eine Ausreise auf dem Landweg Richtung Syrien am zum Gegenstand. Der Angeklagte findet weder in der den Zeugen betreffenden Anklageschrift noch im schriftlichen Urteil Erwähnung.

13(2) Das frühere Verteidigerverhältnis überschneidet sich auch nicht in anderer Weise mit der Zeugenaussage.

14Der Zeuge wurde im gegen den jetzigen Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren am vernommen, mithin zu einem Zeitpunkt, als das gegen ihn geführte Strafverfahren seit beinahe einem Jahr rechtskräftig abgeschlossen war. Die Vernehmung befasste sich unter anderem mit der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer islamistischen ("Daula-")Gruppe in den Jahren 2016 und 2017. Die Angaben des Zeugen werden im wesentlichen Ergebnis der gegen den Angeklagten erhobenen Anklageschrift als ein Beleg neben anderen Beweismitteln für das Bestehen der Gruppe und die Bezeichnung des Angeklagten als "      " angeführt.

15Bei der etwaigen gemeinsamen Gruppenzugehörigkeit handelte es sich für den Zeugen um einen vor oder nach dem eigentlichen Tatgeschehen liegenden Aspekt, nicht aber um den Kern der damals unterbreiteten Lebensverhältnisse. Diese sind, wie dargelegt, ihrerseits nicht Gegenstand der hiesigen Anklagevorwürfe.

16Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass in der Hauptverhandlung ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen (§ 55 Abs. 1 StPO) angenommen worden ist; denn ein solches setzt allgemein die Gefahr der Strafverfolgung voraus. Grundsätzlich kann es nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet, die im Verhältnis zu den abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn darstellen würden (s. im Einzelnen , NStZ 2007, 278 Rn. 6; vom - 3 StR 5/17, NStZ 2017, 546, 547). Mithin beinhaltet die Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts gerade keinen Hinweis darauf, dass die abgeurteilten Taten des Zeugen mit den nunmehr angeklagten in verfahrensrechtlichem Zusammenhang stehen.

17(3) Im Übrigen ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die frühere Verteidigung des Zeugen und die nunmehrige Verteidigung des Angeklagten gegenläufige Interessen berühren. Im Verfahren gegen den jetzigen Zeugen bestand kein Tatvorwurf gegen den hiesigen Angeklagten; dieser war für die vor allem auf geständigen Einlassungen beruhende Verurteilung des Zeugen ohne Belang.

18Das frühere Mandatsverhältnis hindert den Pflichtverteidiger nicht daran, sich unter Beachtung seiner Verschwiegenheitspflicht mit der den Angeklagten potentiell belastenden Aussage des Zeugen kritisch auseinanderzusetzen. Dies gilt sowohl dann, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung Angaben machen sollte, als auch für den Fall, dass seine frühere Aussage anderweitig in die Hauptverhandlung eingeführt wird. Besondere Umstände, nach denen sich konkret anderes ergibt (so etwa für das im Wesentlichen einzige Beweismittel, das für die Überführung des Angeklagten von ausschlaggebender Bedeutung ist, BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10; vom - 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 176), sind nicht gegeben.

19bb) Das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt Dr. E.    und dem Angeklagten ist, wie bereits vom Oberlandesgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt, aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht endgültig zerstört.

20Da die frühere Verteidigung des Zeugen aus den zuvor erörterten Gründen keinen konkreten Interessenkonflikt zur Folge hat, besteht für einen verständigen Angeklagten insofern kein Anlass, dem Pflichtverteidiger das Vertrauen zu entziehen.

21Soweit der Angeklagte einen Vertrauensbruch darin sieht, dass ihm Rechtsanwalt Dr. E.    den Ausgang des gegen den Zeugen geführten Verfahrens verschwiegen habe, reicht dies für eine Entpflichtung ebenfalls nicht aus. Die Verurteilung des Zeugen ist bereits aus der Anklageschrift zu entnehmen, die dem Angeklagten im September 2019 übersandt worden ist. Angesichts der eher nachrangigen Bedeutung des Zeugen für die gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe und der im angefochtenen Beschluss näher aufgezeigten Bezüge des Angeklagten zu dem gegen den Zeugen geführten Strafverfahren ergibt sich selbst dann keine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, wenn der Verteidiger den Angeklagten nicht von sich aus über Einzelheiten des damaligen Verfahrens, insbesondere die Hintergründe einer Verständigung (§ 257c StPO), sowie das vorangegangene Mandat in Kenntnis gesetzt hat.

22cc) Da kein Grund für eine Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. E.    besteht, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass der beantragten Bestellung von Rechtsanwalt G.    gemäß § 143a Abs. 2 Satz 2, § 142 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO die von ihm mitgeteilten Terminkollisionen entgegenstehen könnten.

Schäfer                   Wimmer                   Anstötz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:260220BSTB4.20.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2021 S. 296 Nr. 9
HAAAH-46645